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Volltext: Monatszeitschrift IV (1901 / Heft 9)

seine Gemälde nicht eigentlich gemalt, sondern gedichtet sind. Es kam ihm 
gar nicht auf die Form an, es lag ihm höchst fern, diese richtig zu erkennen 
und darzustellen, sondern er dichtete jede Form um in die Gestalt, die sein 
poetischer Geist wollte, wobei es denn gar nicht selten war, dass seine Bilder 
vom technisch-malerischen Standpunkte aus schlecht, ja verzeichnet wurden. 
Ganz besonders ist dies erkennbar bei vielen seiner ins Halbprofil gestellten 
Frauenköpfe. Wer je eine Reihe seiner Bilder zusammen gesehen hat, etwa 
die in der Ausstellung X897 in New Gallery in Regent Street in London ver- 
einigten, für den musste sich dieser Eindruck der unrichtig gezeichneten 
Halbprofile geradezu festsetzen. Und doch war gerade der Frauenkopf sein 
eigentliches Feld. An die höhere Aufgabe der Malerei, die Darstellung der 
nackten menschlichen Figur, hat er sich nie gewagt, wahrscheinlich, weil er 
sich ihr nicht gewachsen fühlte. 
Aber wie man immer fehl geht, wenn man ein Kunstwerk nach seinen 
„Fehlern" oder seiner „Fehlerlosigkeit" beurtheilt, so ist dies ganz besonders 
bei Rossetti der Fall. Nur die Werte geben beim Kunstwerke den Ausschlag. 
Und diese sind bei Rossetti derartig, dass er in seiner Zeit geradezu als 
Prophet dasteht. Eben dass er jene glühende Poesie in die Malerei trug, 
eben dass uns aus seinen Bildern noch ein anderer Zug anspricht, als wie der 
malerische, eben ihre träumende Phantasie, ihr poetischer Stimmungsgehalt, 
das ferne Märchenreich einer anderen besseren Welt, von dem sie berichten, 
eben das sind die Werte in seinen Bildern. Es ist vielleicht bezeichnend, 
dass er in seinem ganzen Leben nur zwei Bilder gemalt hat, die Wirklich- 
keitsvorgänge darstellen. Das eine, Dr. Johnson und die Methodisten im 
Mitre, spielt im XVIII. Jahrhundert; er kam darüber noch glimpflich hinweg; 
an dem anderen, das er „Gefunden" benennen wollte, dessen zwei Figuren 
das Costüm seiner Zeit trugen, hat er sich ein Jahrzehnt herumgequält, 
ohne es zu vollenden. Alle seine übrigen Bilder verkörpern irgend eine 
poetische Idee, zumeist in Form eines Frauenporträts oder einer weiblichen 
Figur, und die meisten tragen poetische Unterschriften, fast immer aus dem 
Gedankenkreise Dante'scher Dichtungen entlehnt. Der letztere bildete auch 
den Vorwurf für den grössten Theil seiner malerischen Darstellungen über- 
haupt (Abb. S. 376, 377, 384). In Bezug auf seine Frauenköpfe schwebte 
ihm ein ganz bestimmter Typus vor, dem er vielleicht in seinen Bildern 
„Beata Beatrix" (Abb. S. 380), „Astarte Syriaca" und dem Kopf der Beatrice 
in Dantes Traum (Abb. S. 384 und 385) die reinste Gestalt verliehen hat: 
ein schlankes Gesicht auf mächtigem, langen Halse sitzend, fast unnatürlich 
heraustretende, aufgeworfene Lippen, mässig breite Backenknochen mit 
einem ruhig, fast basiliskenartig blickenden Augenpaar dazwischen, dem 
charakteristischen hervortretenden Unterkiefer der Engländerin, und einer 
unendlichen Fülle seitlich und rückwärts herausragenden Haares. Für diesen 
Kopf hat er drei oder vier Lieblingsmodelle gehabt, vor allem seine Geliebte 
und spätere Frau Elizabeth Siddal (Abb. S. 37g), die er unaufhörlich zeichnete 
und malte, ferner die Frau seines Freundes William Morris und zwei andere
	        
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