Triglyphen, kurz den ganzen Bau unter dem Kranzgesimse als feines, kaum
sichtbares Geschmeide umgab, wiewohl ihre Spuren auf der Textabbildung"
und auf anderen Photographien deutlich wahrnehmbar sind; sie wurde,
vielleicht aus bibliophilen Rücksichten, einfach überall wegretouchiert und
dadurch der überlieferte Tatbestand geändert. Und diese Trübung unserer
wertvollsten wissenschaftlichen Quellen ist in diesem Falle nicht unwesentlich:
wie der neueren Phidias-Forschung nach Michaelis jede Kenntnis von Daltons
wichtigem Metopenbildf" verloren gegangen war, so scheint sie auch dieses
alle 92 Metopen verbindende Zierglied, wo nicht ganz vergessen, so doch zu
sehr außer acht gelassen zu haben; denn es dürfte bei neuerlichem, genauerem
Nachprüfen wohl schwer gelingen, bei den verschiedenen „vor- bis nach-
phidiasischen" Metopen hinsichtlich der Perlenschnur ebenso „klare" Stil-
unterschiede festzustellen. - Auch im französischen Prachtwerk findet sich
neben vielem guten Anschauungsmaterial ein Detail doch wohl fehlerhaft
wiedergegeben, das durch Überprüfen rasch richtiggestellt werden muß:
auf der gleichen Tafel, die uns für die Kranzgesimseckblöcke so genaue
Angaben brachtef" sind die Metopen nicht als verhältnismäßig dünne, in
die Triglyphen eingefalzte Platten, sondern deutlich als dicke, tief zwischen
die Triglyphen hineinreichende „Blöcke" gezeichnetbl- Anderseits spricht
man in laxer Terminologie beim Cellafries meist von Friesplatten, während
es sich hier doch um 54 Zentimeter dicke, also um mehr als die Hälfte ihrer
nur 1'06 Meter betragenden Höhe, breite, schwere Blöcke handelt. Auch
das ist nicht unwesentlich; denn: diese schweren Bausteine mußten erst
im Bauverband fest versetzt sein, bevor die herrlichen Reliefs dann erst
sozusagen „al fresco" daraufgemeißelt werden konnten, zu welcher ver-
antwortungsvollen Arbeit dann natürlich nur wirklich in einer großen Schule
erprobte Kräfte herangezogen wurden. Zu dünnen „Platten" wurden diese
herrlichen Blöcke erst in oft barbarischer WeiseH verstümmelt, als zum
leichteren Wegschaffen die skulpierten Vorderseiten abgesägt wurden. -
Eine klare, vollständige Übersicht über den bis heute erwiesenen Bestand
dieses besterhaltenen Teiles der Parthenonskulpturen ermöglichen auch die
beiden Illustrationswerke nur dem bereits vorgeschulten Fachmann nach
längerem Eindringen. Die vorzüglichen Textabbildungen des englischen
Buches geben nur einen Teil der Gesamtausdehnung des Frieses in
kleineren, zusammenhängenden Partien wiederyl-TT die Übersichtstafel des
französischen Buches gibt in geistreicher, aber gewiß nicht fachmännisch
überprüfter Weise, Veraltetes auf neue Art, und erweckt dadurch 1912
Vorstellungen, die schon seit 1885 überwunden waren, zu neuem Schein-
"' "The P." pl. 16 - 25; p. 29, Fig. 44.
1"" Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Kaiserhauses XXXII (1915).
1'" Geleitwort zum Innsbrucker Winckelmann-Festblatt vom g. X11. 19r7, Nachtrag vom 5. V. 1919.
1- „Le P." pl. 42.
H- Vgl. hierüber unter andern-t „The P." p. 55 zur Louvre-„Platte".
i-HDabei ist auf p. 62, Fig. 120. nach Block XVI nur ein Block ergänzt, während zwei (XVH und
XVP") in die Lücke einzufügen sind, um zur Gesamtzahl von 47 Blöcken auch für die südliche Langseite zu
gelangen.
Fig. 2. Weatfries, Gruppe l (l-g)
lebenz" die Zahl der Blöcke ist beim Nord-, Süd- und Ostfries falsch und zum
Teil verkehrt angegeben; am Südfries wurden neben vier Quadrigen, wieder
auf „Carrey" 1674 zurückgreifend, sechs Zweigespanne gezeichnet."
S0 müssen wir uns auch heute, fünfzig Jahre nach dem Erscheinen von
Michaelis' „Parthenon", noch immer in mühsamem Ringen, langsam und
allmählich nur an das Hauptwerk des Phidias heranarbeiten, das uns freilich
allen ehrlichen Eifer immerfort herrlich lohnt durch die nie versiegende Kraft
und den unendlichen Lebensmut, den es auf alle wohltätig ausströmen läßt,
die sich ihm ganz vorbereitet zum Empfange solcher weihevoller Gaben
höchster Kunst erwartungsvoll nahen.
Was ich im vergangenen Winter in meinem Innsbrucker Seminarf" hie-
für zutage fördern konnte, soll im folgenden, nach einem am 24. März im
Österreichischen Museum gehaltenen Vortrag, kurz mitgeteilt werden.
Unsere nur kunsthistoriseh-formalen Betrachtungen beginnen mit der
Westseite des Cellafrieses als dem Anfange des, wie gesagt, besterhaltenen
Teiles der ganzen Dichtung; er liegt uns auch zudem allein in einer alten
Zeichnung Stuarts und Revetts aus der Mitte des XVIII. Jahrhunderts vor
(Fig. 1), welche alle Blöcke mit allen dreißig menschlichen Figuren und drei-
undzwanzig Pferden noch an ihrem alten Platze fest im Verbande des Bau-
werkes überblicken läßt. Dieser Vorteil kann nicht genug geschätzt, gewürdigt
und gewertet werden; entschließt man sich noch alle Blöcke und Figuren
dem Gange der Handlung entsprechend von Süden nach Norden, von rechts
nach links durchzunehmen, und hiefür zur Erleichterung dieses Verfahrens
auch tatsächlich neu durchzunumerieren, so ist der Lohn für eine solche
Mühe ein überraschend großer: wie wenn von einem alten Bilde die spätere
Übermalung sorgsam weggenommen wird, kommen bekannte Züge in der
vom Meister geschaffenen Feinheit erst zur Geltung, ja, ganz neue Einzel-
heiten über seine Kompositionsweise kommen klar zum Vorschein!
Wie Festtagsmorgenstimmung umgibt es uns, wenn wir (Fig. 2) die
ersten neun Figuren mit ihren sechs Pferden für sich als erste klar in sich
abgeschlossene Gruppe betrachten: keiner dcr Reiter ist zu Pferde, alle Per-
sonen sind noch mit dem Ordnen der eigenen Kleidung, mit dem Aufzäumen
der Pferde, oder sonst mit sichtlichen Vorbereitungen beschäftigt; die letzte
" „Le P." pl. 75; mit Recht hat Studniczka in Neue jahrbilcher für das klassische Altertum XXIX (xgxz),
Seite 242, den Namen Maxime Collignons von diesem Unternehmen getrennt.
"" Nur anmerkungsweise muß ich noch auf das bei der Figur des Knaben, Ostfries 35, unterlaufene „Ver-
sehen" hinweisen.
"W Ich will es nicht versäumen, hier vielen Teilnehmern an unseren Übungen und besonders Fräulein
Louise Duregger für ihre den Wagenzug betreffende Beobachtung zu danken.