M 22. Juni 1900 haben Lord Roseberry, Sir John
Murray Scott und Mr. Alfred de Rothschild die
vornehmste Gesellschaft von London nach Hert-
ford House, Manchester Square, geladen „to
meet the Prince and Princess of Wales" und
der Eröffnung einer der kostbarsten Kunst-
sammlungen anzuwohnen, welche je einer
Nation zum Geschenk gemacht worden ist. Die
Geschichte der Wallace Collection ist interessant
genug. In der ersten Hälfte des XIX. Jahr-
hunderts haben die Marquis of Hertford eine eigene Stellung in der
englischen Gesellschaft eingenommen. Vornehm, reich, geistig hochbegabt,
verstanden sie es trotzdem der gesellschaftlichen Convention beständig
vor den Kopf zu stossen. Man versagte ihnen nicht die höchste
Anerkennung als Typen des richtigen englischen Gentleman, aber man
ärgerte sich über ihren Cynismus in Rede und Lebenswandel. Sie sind
ihre Lebzeiten „those wicked Hertfords" geblieben, über deren Thaten
nur gerne im Flüstertone gesprochen wurde. Der dritte Marquis ist als
Lord Steyne in Thackerays Vanity Fair litterarisch verewigt worden.
Unsere Zeit mag in ihnen nur die unvergleichlichen Kunstkenner erblicken,
welche, dem Verständnisse ihrer Zeitgenossen häufig voraus eilend, die
herrlichsten Kunstschätze zu erwerben und zu erhalten wussten. Schon
der dritte Marquis hat einen grossen Theil seines Einkommens zu den
glücklichsten Kunstankäufen verwendet. Er hat noch zumeist in England
gelebt. Der vierte Marquis aber hat auf die Dauer dem englischen Klima und
der Gene seiner gesellschaftlichen Stellung nicht Stand gehalten. Obwohl er
immer der Typus des vornehmen Engländers geblieben ist, hat er Paris zu
seiner zweiten Heimat gemacht. Im Schlosse Bagatelle und in der Rue
Lafitte hat er sein Leben als Sonderling verbracht. Seine einzige Freude
war das Sammeln von Kunstschätzen, und so unzugänglich er sonst
gewesen ist, dem Kunstkenner und namentlich dem Kunsthändler war
seine Thür nie verschlossen. Seine Agenten durchstreiften die Welt, um das
Beste zu finden und zu erwerben. Wenn auf einer Versteigerung eine für
damalige Zeit unerhörte Summe geboten wurde, war gewiss Lord I-Iertford
der Käufer, H und wie gering erscheinen diese Beträge gegen das, was
gerade für seine Liebhabereien heute gezahlt wird! Am häufigsten war es
ein bescheidener „Monsieur Richard", der hier als Bevollmächtigter auftrat.
Aus ihm, dem liebsten Umgange und treuen Rathgeber Lord Hertfords, ist
mit der Zeit Sir Richard Wallace geworden und niemand verwunderte sich,
als er der Erbe allen Kunstbesitzes wie des gesammten frei vererblichen
Vermögens des vierten Marquis von I-Iertford wurde. Sir Richard Wallace
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