III. GRAPI-IISCHE KUNST zu
AN konnte im Zweifel sein, ob die Plastik oder
die graphische Kunst in der Dresdener Aus-
stellung an erster Stelle stehe. Jedenfalls war
die graphische Abtheilung von dem Director
des königlichen Kupferstichcabinets in Dresden,
Max Lehrs, so vorzüglich ausgewählt und
zusammengestellt, dass dem Beschauer die
gegenwärtige hohe Blüte der graphischen Kunst
stark zum Bewusstsein kam. Hätte man eine
graphische Ausstellung etwa aus dem Jahre 1850
daneben sehen können, so wäre einem über-
dies der grundlegende Unterschied zwischen dem Einst und dem jetzt
augenfällig geworden. Der einst allmächtige Kupferstich spielt keine Rolle
mehr. Wer würde noch daran denken, ein Raffael-Werk von mehreren
Hundert quadratmetergrossen Kupferstichen zusammenzustellen, wie es
in Leipzig noch aus jener Zeit vorhanden ist? Ein einziger grosser
Kupferstich dieser alten Art war in der Dresdener Ausstellung zu sehen, eine
Immaculata nach Murillo; sie spielte eine üble Rolle zwischen all den
Radirungen, Lithographien und Holzschnitten, die jetzt das Feld behaupten.
Auch unter diesen Blättern waren nur wenige Reproductionen zu sehen,
wie etwa Köppings grosse Radirung nach Rembrandts Prediger Anslo im
Berliner Museum. Die Photographie und die photomechanischen Druck-
verfahren räumen immer mehr auf mit den Nachbildungen von Gemälden in
Kupferstich und Radirung, und auch der reproducirende Holzschnitt tritt
immer mehr zurück, weil er den Forderungen der „Actualität", der billigen
Herstellung und des Massendarbietens von Bildern in den illustrirten
Wochenschriften und Tageszeitungen nicht mehr zu genügen vermag. Diese
Scheidung hat ihr Gutes: In der graphischen Kunst tritt das schöpferische
Moment immer mehr in den Vordergrund, und über den Wert des einzelnen
Blattes entscheidet der künstlerische Wurf, nicht mehr die handwerkliche
technische Geschicklichkeit, die lediglich Voraussetzung ist. Man konnte in
der Dresdener Ausstellung zweifelhaft sein, was alles unter den Begriff
graphische Kunst zu rechnen sei, denn sie umfasste ausser Radirungen,
Lithographien und Holzschnitten auch Handzeichnungen, Pastelle und
Aquarelle. Letztere gehören sicherlich zur Malerei und nicht zur graphischen
Kunst, und nur der äusserliche Grund des Formates, der Wunsch ansprechen-
der Anordnung und ihre Zugehörigkeit zum Geschäftskreise des königlichen
Kupferstichcabinets in Dresden hatte sie in diese Abtheilung gebracht.