Weit bedeutender als dieser erste Versuch Lechters ist sein zweites
Buch: „Der Schatz der Armen" von Maurice Maeterlinck. Dasselbe erschien
wieder im Verlage von Diederichs, und seine Schlussnotiz lautet: „Titel-
bilder, Zierate, Überschriften, Zahlen, Initialen, Schriftanordnung von
Melchior Lechter, unter dessen artistischer Leitung dieses Buch im Jahre
1898 bei Otto v. Holten, Berlin, gedruckt wurde." Das ganze Buch ist ein
Werk aus einem Gusse. Mit derselben halbfetten Antiqua, im Quartformat
gesetzt, ist ein wundervolles, ruhiges, ganz geschlossenes Seitenbild erreicht
worden, dessen sich die besten Drucker der Incunabelzeit nicht zu schämen
brauchten. Das Titelbild und der sonstige Buchschmuck weist den strengen
mittelalterlich-mystischen Stil des Künstlers auf. Das Titelbild zeigt eine
auf Felsen gebaute Burg mit Zinnen und Thürmen, darin ein Hain mit
schlanken Bäumen, aus deren Mitte sich ein hoher Dom erhebt, auf den
die Strahlen der Sonne niederfluthen. Die Zeichnung steht in starken
Contouren auf schwarzem Grunde. Auch die grossen Initialen der Capitel-
anfänge und die Schlussleisten treten in schweren Linien aus tiefschwarzem
Grunde wirkungsvoll heraus. Sie fügen sich, zusammen mit den tiefroth
gedruckten Capitelüberschriften, in schöner Harmonie dem Seitenbilde ein.
nur sind sie vielleicht etwas zu schwer für die Textschrift und das Format
der Seite. Einige der Versalien und Seitenzahlen Lechters lassen die für
Schriftzeichen nothwendige Deutlichkeit vermissen.
Bei den Capitelanfängen und -Ausgängen hat der Künstler dem schönen
Seitenbilde zu Liebe alle sonst üblichen leeren, weissen Räume vermieden;
der Druck läuft ebenmässig fort, die rothen Capitelüberschriften, die grossen
Initialen und hin und wieder eine Schlussleiste geben dem Leser die
genügende Unterbrechung. Man sieht an diesem Buche, wie wunderschön
sich der in dem starren Canon der Setzer vorgeschriebene leere Raum beim
Beginne eines neuen Capitels vermeiden lässt, und wie viel die gedruckte
Seite dabei an ruhiger Schönheit gewinnt.
In dem „Schatz der Armen" ist Lechter auch wieder zu den grossen
Anfangsbuchstaben der Hauptwörter und zu den üblichen Interpunctions-
zeichen zurückgekehrt. Nur eines empfinde ich bei dem schönen Buche als
eine hässliche Störung: das Fehlen eines breiten äusseren Papierrandes.
Man kann, wenn der Rand so schmal ist wie in diesem Buche, kaum
umblättern, ohne auf den Druckspiegel zu fassen (Abb. S. 59).
Weiter hat Lechter eine Auswahl aus ]ean Pauls Werken ausgestattet,
die ebenfalls im Verlage der „Blätter für die Kunst" herausgegeben und eben-
falls bei Holten gedruckt worden ist (Berlin 1900). Auch hier erzielt der
Künstler ein schönes Bild der Seite mit kleineren Initialen und schmalen
Leisten an den Innenstegen der Blätter, die zugleich die Seitenzahlen
enthalten, und mit rothen Überschriften und Marginalien. Die Einleitung
und die Inhaltsübersicht sind reich in Blau und Roth gedruckt.
Eine ganz ähnliche Druckausstattung hat Holten für die Festschrift der
Berliner Volksbibliotheken und Lesehallen von A. Buchholz gewählt, mit