„Meermenschen mit Seehund". Auf einer Klippe im weiten Meere ruht die Mutter, den
Säugling mit einem derben Griif ins Weiche festhaltend. Hinter ihr strebt ein mehrjähriges
Töchterchen die Klippe hinan, dem Vater zu, der eben herantritt und einen im Genick
gepackten Seehund bei sich hat. Dieses Gegeneinanderstreben der Massen und Farben,
ihr vollkommen componirtes Gleichgewicht ist, wie Böcklin selbst sagt, das Kennzeichen
und die Idee des echten Kunstwerkes. Mit der Naturwahrheit nimmt es der Meister nicht
buchstäblich genau; so erzählt er selbst (siehe Floerkes Buch), dass ihm als Vorbild für
den Seehund . . . sein Schulranzen aus der Knabenzeit vorgeschwebt habe. In das Wasser
aber, dessen Schaumgebilde hier wieder einmal mit Böcklin'scher Mannigfaltigkeit
gegeben sind, pflege er „so Spielereien", wie sie ihm durch den Kopf gingen, hinein-
zumalen. Und bei alledem, und bei den argen Verzeichnungen (namentlich am grösseren
Kinde) ist das Werk voll Natur. Seine Naturwahrheit ist eben die Wahrheit der Böcklin-
Natur. Eine strotzende Lebensfülle zeichnet die Körper wie die Landschaft aus. Der
familienhafte Vorgang nimmt der Stimmung nichts von ihrem grossen ozeanischen Wesen.
Allmutter See und ihre vergnügten Kinder, deren Spiele das Weltgetriebe in Gang halten
helfen. Und dabei der echt deutsche Humor, dass diese Elementarwesen zugleich Elemen-
tarphilister sind. Das Bild ist etwas nachgedunkelt, was ihm aber eher noch einen neuen Reiz
verleiht. ä Die einheimische Malerei hat fleissige Monate hinter sich und bringt manches
Gute. Klimt hat eine Reihe duitiger Landschaften, in denen meist der Sonnenschein auf
der Wiese oder der Himmel im Wasser das eigentliche Motiv bilden. Dazu ein unvoll-
endetes Damenbildnis in hauchartigen Grautönen, namentlich des reichgefalbelten Kleides,
und ein Panneau: „Goldiische", wo alles unter Wasser schwebt und Himmert. Moll ergeht
sich an spiegelnden Wassern und einmal sogar in hochstämmigem Nadelwald. Die grüne
Baumschlagstudie Myrbachs ist vortrefflich. Tichy, Sigmund, Nowak, jettmar und
andere haben interessante Naturstudien. Immer aber bleibt Rudolf Alt voran, der noch
vorigen Sommer in Goisern eine grosse Hügel- und Laublandschaft vollendet hat,
sogar mit einer vollen Sonnenscheibe zwischen dem Geäst, das sich im Lichtgeriesel
verklärt. Dieser moderne Zug ist bei dem Neunzigjährigen besonders merkwürdig. Dazu
kommt übrigens eine seiner besten römischen Veduten, das „Pantheorw von 1873, wo
grosse Schattenmassen zu prächtiger Wirkung gebracht sind. Im Genre fällt besonders
eine Reihe Marktscenen von Andri auf, wo die Farben und Formen des Alltags wie Curio-
sitäten wirken, die sie ja eigentlich auch sind. Eine Reihe Märchenbilder (Aquarell) von
Liebenwein zeigen viel Fortschritt. Eine Anzahl japanischer Scenen von Orlik weist
reizende Farbenholzschnitte auf, deren Schliche er kürzlich in japan erlernt hat. Aus
München ist vor allem der jüngste Künstlerbund „Scholle" zu nennen. Diese jungen Leute
sind voll Talent und Muth zum Experiment. Man kennt sie übrigens meistens aus der
„Jugend". Da ist Adolf Münzers „Gartenfes ", ein grosses Dämmerungsbild voll schwim-
mender Farben in breiter, weicher Behandlung, an Zuloaga und (natürlich) Velazquez
anklingend. Sein zweites Bild „Ammen" geht dagegen mehr in der Art Rolls, wenn er
viel Publicum darzustellen hat. Fritz Erler bringt das grosse Triptychon: „Die Pest", eine
jugendliche Krahprobe mehr ins Blaue hinein, obgleich die Scenen auf Gelb und Roth
gestellt sind. Desselben Künstlers „Dame am Clavier" ist ein bizarres Weiss-und-Schwarz
mit fünferlei Weiss, das übrigens auch noch durch das Schwarz des Claviers schlägt.
Mit Verve und Eigenart auf Holz hingefegt, wie der Wurf gerade sitzt. Ein grosses
I-Ierbstbild von R. Max Eichler ist ein wahres Panorama von wohligen l-lerbstfarben, in
einer Hügel- und Waldgegend, die sich, näher besehen, als ein grosser, über die Landschaß
hingelagerter Pan in einem mit rothen Äpfeln gemusterten Schlafrock darstellt. Der Ulk ist
annehmbar, da es ihm nicht an malerischen Eigenschaften fehlt. Ausserhalb der Gruppe
stehen Karl Freiherr v. Otterstedt, dessen „weisser Ahorn" eine originelle Naturstilisirung
zeigt, und Victor Frisch mit einem weiblichen Halbact, der mit grosser Flimmerkraft aus
Grünlich und Röthlich zusammengebürstet ist. l-Iiezu wären etwa noch zwei Porträts von
Spira (Breslau) zu nennen (das eine ist Richard Muther), die einem schwärzlichen Ton