Nummern stark und hat förmlich eingeschlagen. Das Hauptbild: „Die vier Eismänner", von
unserem in Dresden lebenden Landsmanne Carl Mediz, ist vom Unterrichtsministerium
erworben, was dem allgemeinen Gefühl entspricht. Es ist ein ungewöhnliches Bild.
Die vier lehensgrossen knorrigen Gestalten der Eismänner, wie sie sich von einer bleichen,
kühlen Eiswelt abheben, sind mit einer durchdringenden Sachlichkeit studirt und wieder-
gegeben, die sich auf jede Masche ihrer Wadenstriimpfe, jedes Härchen auf ihrer Haut,
jedes Moosfädchen an ihren frisch abgeschnittenen Wanderstäben und jedes Alpen-
blümchen im Blumenteppich zu ihren Füssen erstreckt. Die ersten Prärai-"faeliten, die
Holman Hunt und Ford Madox Brown, haben mit dieser geduldigen Liebe die Natur
durchdetaillirt, um der grossen Cinquecento-Schablone zu entrinnen. Dabei wirkt Mediz' Bild
durchaus gross und kräftig. Unter den Hagenleuten selbst empfehlen sich zunächst die
Landschafter, von denen Wilt, Ameseder, Kasparides, Suppantschitsch, Konopa, und jetzt
auch Hans Ranzoni, stark vorwärtsgekommen sind. Das Publicum hat in dieser Sphäre
auch wacker gekauft. Unter den Nachstrebenden verdient der junge sehr begabte Radler
und, in einiger Distanz, Baron Richard Drasche Erwähnung. Goltz verbindet die Landschaft
mit einer grossen weiblichen Figur von symbolischer Aufgabe, wobei er nicht recht selbst-
ständig wird. Thiele hat in seinem grossen Bilde: „Helden" (ein Leichenhaufen im
Abendschein) viel gute Anatomie beisammen, aber ohne Lösung des Beleuchtungs-
problems und vor allem ohne die Stuck'sche Faust, die zu solcher Arbeit gehört. Germela
findet mit einem pikanten Damenporträt in schwarz-weissem Eislaufcostüm, das aus der
Sargentgruppe stammen könnte, viel Anklang: auch seine Lunois-artigen, heftig colorirten
spanischen Tänzerinnen, besonders die in Grün, fesseln das Auge. Walter Hampels gross-
gliederige „Eva" ist eine Verilauung der Stuck'schen aus der „Vertreibung", die er aber
wenigstens von ihrer Hüftgelenksverrenkung geheilt hat. Unter den Porträts fallen
besonders die von Ludwig Ferdinand Graf auf, der die kühle Eleganz der Biedermaierzeit
ein kleinwenig modern zu würzen versucht. Viel gesundes Farbenleben, aus Zügels
Schule, haben die Pferde und Jagdscenen I-Iegenbarths (München) und Hayeks (Dachau).
Unter den Plastikem sehen wir Gurschner, diesmal auch im Grossen, mit einer Marmor-
gruppe: „Liebe und Neid", wo eine Art Molchmensch drastisch wirkt, während das
nackte Liebespaar mehr an die etwas schematisch gehaltenen weissen Biskuitgruppen der
Wiener Porzellanfabrik erinnert. Widters nackte Marmorhgur ist tüchtig, aber Klingers
Amphitrite nachempfunden. Zita, Heu und Plattner seien gleichfalls erwähnt.
KLEINE NACHRICHTEN 50'
BERLINER DECORATIVE CHRONIK. Der bunte Wechsel der Ausstellungen in
den BerlinerSalons lässt kaum die ruhige Sammlung aufkommen. Ein leidenschaftliches
Fieber herrscht, immer etwas Neues zu zeigen, und was heute als Interessetrumpf aus-
gespielt wurde, gilt morgen schon als abgethan. Wer nicht aus Modelaune, sondern aus
ernsterer Neigung und mit geschulterer Betrachtung den Lauf unserer kunstgewerblichen
Entwicklung verfolgt, der wird vor dem chaotischen Wirrwarr der Begriffe in den Köpfen
der Prcducirenden und der Consumenten jetzt etwas besorgt werden. Auch stumpft sich
die Aufnahmsfähigkeit durch die Überproduction ab, die nicht der Ideenüberfülle entspringt,
sondern eher als überhitzte Zwangsarbeit erscheint, ähnlich der Gewaltsdramatik, die
in jedem Jahre mit einem neuen Stücke auf dem Markte erscheinen muss.
All die decorativen Eintagsüiegen zu verzeichnen, die auftauchen und verschwinden,
ist wohl nicht mehr möglicnUnd ein viel richtigeres Bild vom Stand der Dinge, als prompt
actuelle Notizen über jede Ausstellung, geben die Übersichten nach längeren Intervallen,
deren Stoß durch die Zeit und das Gedächtnis eine organische Durchsiebung und Scheidung
des Wesentlichen vom Unwesentlichen erfahren hat.