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Volltext: Monatszeitschrift V (1902 / Heft 2)

Traditionseinseitigkeit, sich in den verschiedenen Landschaften ganz verschiedene Muster 
und Stile entwickelt haben. Diese Isolirung hat reine, einfache, charakteristische, durch 
keine Beeinflussungen vermischte Gattungen gezüchtet, die sehr lehrreich zu studiren sind. 
Die schwedischen Gäste im Berliner Kunstgewerbemuseum wurden durch einen 
deutschen Künstler von markanter Eigenart abgelöst, durch Hermann Obrist. Obrist hat 
sich vielleicht am frühesten in Deutschland mit decorativen Aufgaben in modernem Geiste 
beschäftigt. Seine Stickereien, die vor sechs oder sieben Jahren der „Pan" reproducirte, 
sind unvergessen. Sie waren eine That. Ein Naturgefühl, an dem sicheren Geschmack 
der Japaner geschult, ein subtiler coloristischer Takt, die Sicherheit eines suggestiven 
Arrangements leiteten seine Hand, die auf Seidenshawls schimmernde Blütenregen streute, 
die wispemde Gräser spriessen liess und Wunderbäume voll zarten Filigrans des Gezweiges. 
Nach dieser decorativen Lyrik wandte er sich dem Bildnerischen zu. Einen Brunnen 
stellte er aus, den „Elfenschreck", ein Marmorbecken, rauh behauen, von dem sich hauchig 
ein Basrelief erschreckt Hiehender Märchenwesen abhebt, auf der Rückwandung wuchsen 
langschaftige grün patinirte Bronzepiianzen auf und in einer Höhlung lag die Schlangen- 
königin mit der Krone. 
Obrist ist dem Brunnenmotiv treu geblieben, diese neue Ausstellung zeigt eine Fülle 
neuer Modelle. Aber er ist spröder und grüblerischer geworden. Das Lieblich-Gefällige 
tändelnd poetischen Einfalls reizt ihn nicht mehr, er geht strenger auf den Grund und das 
Wesen der Dinge aus. Er will die Dinge nicht mehr ausschmücken, sondern er will etwas 
von ihrem inneren Leben zum Ausdruck bringen. 
Er verzichtet nun auf allen secundären Schmuck und strebt nur danach, das formal 
auszubilden, was seiner Nachdenklichkeit bei einemBrunnenwerk als wesentlich erscheint: 
das Spielen des bewegten Wassers um den Stein; das Wirken des Flüssigen, in jedem 
Moment Wechselnden, das gegen das Beharrende kämpft, an ihm zerschellt, sich wieder 
ballt, sich neue Bahnen durch die Wege des Felsens sucht und das grosse Schauspiel 
ewiger Ruhe in ewigem Fluten gibt. 
Aus solchen Vorstellungen heraus sind wohl einige dieser Wasserwerke entstanden, 
die, an Rodinsche Sculpturen erinnernd, rauhes Felsgefüge darstellen, das sich in Becken 
und Rinnen zerklüftet, als hätte das Wasser selbst den Stein mit ordnender Gewalt 
umgebildet. 
Befremdlich mögen sie auf den Beschauer wirken, denn Ausstellungsobjecte sind sie 
gar nicht. Was ihr Schöpfer von ihnen wollte, das können sie erst wirklich im Freien, im 
Grünen erzählen, wenn das Element in ihnen spielt und die todten Formen in bewegtem 
Rhythmus lebendig macht. Im Gipsmodell, trocken, kalt und starr, zeigen sie nur die Hälfte 
ihres Geistes. 
Dankbarer in der decorativen Wirkung präsentirt sich der sehr gelungene „Nutz- 
brunnen", der für einen öffentlichen Platz gedacht ist und der seine interessante getheilte 
Gliederung und seinen reichbewegten Aufbau aus seiner Bestimmung empfängt, als Tränke 
zu dienen. Die Becken des Untergeschosses sind für die Hunde, die breiten Schalen der 
Mitte für die Pferde und um die hübsch zu Näpfchen ausgeschnittenen Pyramidenköpfe 
der Spitze sollen sich die zwitschernden Vögel des Himmels sammeln. In schönem, 
organischem Proportionsrhythmus ersteht dies heiterhübsche Monument und einen 
besonderen Reiz hat es noch in den Abflussplatten, mit denen die mittleren Becken 
gedeckt werden können. Sie sind aus gehämmertem Metall, zeigen aparte Durchbruchs- 
arbeit und wirken wie grosse japanische Schwertstichblätter. 
Neben dem Brunnen, dem Zeichen des Lebens, stehen die Zeichen einer anderen 
Kunst, der sich Obrist in seiner letzten Schaffenszeit hingegeben, der Kunst, die dem Tode 
geweiht ist. Grabmäler hat Obrist entworfen und Urnen von sehr einfach und würdig 
ernstem Gepräge. Das Wesen eines innerlichen Menschen, der seinen Schmerz gehalten 
birgt, der aus ihm keine Sccne macht, der gefühlskeusch ist, bringt diese Todeskunst zum 
Ausdruck: die wuchtige Platte, die schräg auf zwei zu Kopfenden ragenden Pfosten ruht,
	        
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