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IE französische Abteilung der Miniaturenausstellung,
mit der sich die nachfolgenden Darlegungen
beschäftigen, weist eine stattliche Zahl von
Bilderhandschriften auf, die zu den erlesensten
der ganzen Exposition gehören. Die wohl-
geordnete Reihe charakteristischer und hervor-
ragender Werke der französischen Miniatur-
malerei führt gleichzeitig auf lehrreiche Weise
in die Entwicklung einer Kunstübung ein, die
von Frankreich aus im späteren Mittelalter
bemerkenswerten Einfluss auf die europäischen
Kulturzentren geltend machte. Wie nun die Manuskripte der bezeichneten
Abteilung ein vorzügliches Bild der Gesamtentwicklung unserer Kleinkunst
auf französischem Boden liefern, anderseits aber auch nur wieder aus dieser
heraus richtig gewürdigt werden, so ist ein Blick auf die Geschichte jener
Evolution gerade an dieser Stelle umsomehr geboten, als durch solche
Würdigung helle Streiflichter auf die übrigen in der Ausstellung vertretenen
Schreib- und Malschulen fallen.
Die ersten Abteilungen der Miniaturenausstellung illustrieren in
entsprechenden Proben zunächst das frühmittelalterliche Scriptorium, dann
die verschiedenen zentraleuropäischen (auch linksrheinischen) Schreibstätten,
von denen aus durch die geschlossene Reihe der ausgelegten Bilderhand-
schriften fast unmerklich der Übergang zu den deutschen und böhmischen
Schulen des späteren Mittelalters bis zum XVI. Jahrhundert vermittelt wird.
Den letzten Ausläufern dieser Schulen schliessen sich ohne ein Bindeglied
die französischen Handschriften des XIII. Jahrhunderts an. Dieses plötzliche
Abbrechen, wenn man will, diese Umkehr vom XVI. Jahrhundert deutscher
Kunst zum XIII. Jahrhundert der französischen, ist wohlbegründet, und die
Arrangeure der Ausstellung haben, jeder ähnlichen Veranstaltung einen
wertvollen Wink gebend, richtiges Verständnis für die Hauptabschnitte
künstlerischer Evolution im Mittelalter bewiesen.
Tatsächlich bedeutet die Zeit, mit der die französische Sektion der
Ausstellung anhebt - etwa Mitte des XIII. Jahrhunderts - den Beginn einer
neuen Epoche der Miniaturmalerei. Im frühen Mittelalter sehen wir den
Geistlichen in der Schreibstube arbeiten, nur ihn und nur für die Gebildeten,
die ja auch wieder nur Geistliche waren. Er wendet sich vor allem an
den Verstand und spricht mit Vorliebe in der Sprache, die dem einzigen
Interessenten, dem Theologen, geläufig ist, in der des Symbols und des
Gleichnisses. Nur wer dies festhält, vermag die Fülle des Mystisch-
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