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Volltext: Monatszeitschrift V (1902 / Heft 6 und 7)

bedeutendste unter jenen Miniaturisten. Ihm gesellten sich Nicolas Hiesse, 
Robert Boyvin und der später berühmt gewordene Estienne Dumonstier bei. 
Aus dieser Schule sind sehr bemerkenswerte Bilderhandschriften 
hervorgegangen: Ms. 54 der Bibliotheque Nationale, Ms. 2678 und 2679 in 
derselben Bibliothek; das erstgenannte mit 428 Miniaturen, die beiden 
andern mit zusammen 74 zum Teile grossen Bildern, sämtlich im Auf- 
trage des Kardinals angefertigt. Ein bemerkenswertes Charakteristikum 
des Stils der Malschule zu Rouen ist die Nachahmung italienischer Vor- 
lagen; sie erklärt sich vortrefflich durch den Umstand, dass Georges 
d'Amboise das Glück hatte, einen grossen Teil der Prachthandschriften aus 
der Bibliothek der Könige von Aragon zu Neapel zu erwerben (1501), die 
dann einen köstlichen Bestand der im erzbischöflichen Palais zu Rouen 
aufbewahrten Sammlungen bildeten und für die vom Kardinal beschäftigten 
Miniaturisten vorzügliche Muster abgaben. Um nun den Kreis der für die 
Beurteilung der Wiener I-Ieroidenhandschrift wichtigen Folgerungen zu 
schliessen, haben wir noch, immer unseren Gewährsmännern folgend, zu 
bemerken, dass auch die nachweisbar für König Ludwig XII. hergestellten 
Miniaturhandschriften, so ausser der bereits erwähnten Pariser Heroiden- 
handschrift noch die illustrierten Petrarca-Übersetzungen, Fds. fr. 225 und 
Fds. fr. 594 der Pariser Nationalbibliothek, in den Bildern vollkommene 
Ähnlichkeit mit den Amboise-Handschriften aufweisen. Ausserdem ist für 
Fds. fr. 595 die Anfertigung in Rouen durch eine Note ausdrücklich bezeugt. 
Es ist also eine stattliche Gruppe Roueneser Bilderhandschriften, der 
sich das Wiener Heroidenmanuskript anschliesst, und die sich in diesem 
geltend machenden Einflüsse der italienischen Renaissance sind gleichfalls in 
befriedigender Weise erklärt. Die Probe auf die Richtigkeit der Behauptung 
von der engen Verwandtschaft zwischen der Wiener und der Pariser Hand- 
schrift im einzelnen, speziell an dern reproduzierten Bilde, zu machen, ist 
ebenso anziehend wie lehrreich. Fast alle in der oben zitierten allgemeinen 
Beschreibung der Bilder der Pariser Handschrift hervorgehobenen Merkmale 
sind mit Leichtigkeit auf unserem Bilde wiederzufinden: die grosse Schlank- 
heit der übermässig lang geratenen Gestalten der Heldinnen, mit der die 
Kopfdimension in keinem Verhältnisse steht; der Mangel an Bewegung in 
den fahlen Gesichtern; das reiche, von dekorativem Sinne zeugende Kostüm; 
der dekolletierte Oberleib mit den aus zwei getrennten Stücken gebildeten 
Ärmeln; der aufgeschlitzte Rock, der die Beine bis zur Höhe der Hüfte 
freilässt u. s. w. Ähnliches gilt von der Szenerie. Wir sehen Phyllis in 
dem grossen Palastsaale auf einem mit bildhauerischem Schmucke ver- 
sehenen Throne. Auch die Basreliefs und Ornamente, von denen unsere 
Beschreibung spricht, fehlen nicht. Was der Meister der Wiener Handschrift 
variierte, ist die Einteilung der Felder. Das Hauptfeld ist in der Regel der 
schreibenden I-Ieroine (manchmal zusammen mit ihrem Helden, manchmal 
diesem allein) eingeräumt; auf drei kleinen Seitenfeldern (auf dem Rande 
links) werden Ereignisse aus dem Leben der Liebenden erzählt: auf unserem
	        
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