Nach wie vielen Seiten das bis jetzt fast ganz unbekannt gebliebene
Illustrationswerk dieser Handschrift ausgreift, erkennt man aus den beiden
andern hier veröffentlichten Proben. Man weiss nicht, worüber man mehr
lachen soll, über die beiden Affen, die auf Eseln zu einem Stechen reiten und
an den untern Randschmuck des St. Martinsbildes im Hortulus erinnern, oder
über den niederländischen Bauer, der, mit ganz entsetzlicher Nase ausgestattet,
durch Nimbus und Beigabe des drolligen Löwen zum heiligen Marcus
gestempelt wird. Brillant wirkt aber da wieder die Umrahmung der Textseite,
wird jedoch an entzückender Schlichtheit der Blumendarstellung durch die
Randornamente eines deutschen Gebetbuchs, das um die Wende des
XV. und XVI. Jahrhunderts entstanden sein mag (cod. 2730), noch übertroffen.
Richtig bemerkt Waagen, dass hier Randleisten und Bilder „durchaus
niederländische Kunstweise zeigen und einen Beleg bilden, wie weit sich die-
selbe um diese Zeit verbreitet hatte".
Schade, dass die bestechende Naturwahrheit, die in den Pflanzen und
Blütendarstellungen - so in den Palmkätzchen (Hornung) und in dem mit
einer Stecknadel ans Pergament gehefteten Veilchen (März) -zutage tritt, bei
der Reproduktion lange nicht so zur Geltung gelangt wie bei dem Original.
Die sorgfältige Schattengebung ist aber auch auf unseren Bildern wahmehm-
bar. Eine prächtige Ergänzung hierzu bildet in der nämlichen Handschrift
der das Bild „Heimsuchung" umschliessende Rahmen. Blumen, Libellen,
Arabesken wetteifern miteinander in geschmackvoller Darstellung und
anmutiger Feinheit; mit den andächtigen Mienen der Frauen im Haupt-
bilde kontrastiert in drolliger Weise der Dudelsackpfeifer, der offenbar Raupe,
Schnecke und Schmetterling zum Tanz aufspielt.
Tiefer in das XVI. Jahrhundert führen uns die Bilder eines für König
Ferdinand I. hergestellten Gebetbuches (cod. 1875). Der Vergleich des hier
auftretenden Randschmuckes mit dem der eben besprochenen Handschrift
zeigt, dass die spätere Zeit es bei solchen Prachtstücken nicht an Reichtum
des Zierats gebrechen lässt, an Eleganz des Vortrags und Erfindungsfülle
hinter den Miniaturen der Hochblüte aber zurücksteht. Bei den Initialen
sind Baumastrnotive geschickt verwertet; auf einem Stück des Geästes des
Anfangsbuchstabens D (omine) sitzt ein Schmetterling. Die von uns gewählten
Vollbilder: „Verkündigung" und „Geburt Christi" zeigen den Einfluss der
italienischen Renaissance; die Ausführung ist fleissig und auch im einzelnen
sehr sorgsam (auf die Darstellung der Verkündigung kommen wir noch später
zurück) und man hat bei Betrachtung des Ganzen fast den Eindruck, vor
Kopien von Tafelgemälden zu stehen.
Bei Vorführung von Proben niederländischer Profanillustration setzt die
Miniaturenausstellung gleich mit zwei Prachtstücken ersten Ranges ein, die,
wie wir sofort sehen werden, gemeinsame Behandlung erfordern: „Les
croniques de Jherusalern abregies" (cod. 2533) und die „Hystoire de Mon-
seigneur Girard de Roussillon" (cod. 254g). Beide Manuskripte führen uns
an den Hof Philipps des Guten von Burgund. „Alle Herzoge dieses Hauses,"