Interkunst 1976
Noch zwei Jahre vorher, 1974, konnten de facto
ganze drei Galeristen zur Teilnahme an der
proiektierten Interkunst „überredet" werden. Nach
der Ausschreibung 1975 waren es an die 50!
Ausgebucht in wenigen Tagen das leider etwas
anorganische Exhibitionskanglamerat. Man mußte
Kaien verkleinern. Was bewirkte dieses urplötzlidte
Anziehen des Interesses der Galeristen? Gab es
doch vorher Schlagabtäusche, vom Quer-Treiben
bis -Stellen, ia bis -Legen die übliche dissonante
Ouvertüre. Dagegen iedoch verstärkte Akkordanz
und Ohrensteifhalten der Veranstalter. Galerist
Gras, der eigentliche „Urheber" der Interkunst -
hätte Wien mehrere von seiner Distinktion -, der
die Interkunst als Experiment startete, und das
Team der „Offerta", das ein Ubersoll an werblichen
und administrativen Pensen am Hals hatte. Das
organisierte, entrierte, vermittelte und das erste
Großunternehmen für die Kunst des 20. Jahrhunderts
in Wien auf die Beine stellte. Teamleiter Jirasko
verkniff es sich nicht, höflichst allerdings, diesen
Unternehmensauftrag an „Berufenere" zurück-
zuadressieren. Aber wie immer, was vorerst in
irgendeinem (Galerie-)Winkel dieser kulturträchtigen
Stadt als ideelles Feuerchen schwelle, entwickelte
sich alsbald zum „beachteten" Brand! Rauchzeichen
einer neuen Ära am Wiener Himmel in Sachen
moderner Kunst?
Eingeweihte errechneten sich kein Wunder. Keine
Schlangen Kunstinteressierte vor dem Liechtenstein-
Palais. insgeheim erwartete man sich „einiges".
Doch dann gab es einen zu Hoffnung berechtigenden
Anfang. Ja man registrierte mit Genugtuung das
Aufkommen eines so stark hinzugewünschten
„neuen" Publikumskreises. Man sprach davon, doß 4
diese erste Wiener Kunstmesse der zeitgenössischen
Kunst in erster Linie lnformationswert haben sollte.
Als Fundament des Ganzen trugen naturgemäß
die Galerien, unsubventioniert, und nicht die
präsentierten Künstler die Aufwandslast. Galerien
aber haben eben enorme Aufwände und Regien.
Das bedeutet, daß die Ware, das Kunstobiekt,
auch entsprechend verkauft werden muß, um deren
Existenz sicherzustellen. Das heißt aber auch, daß
ein halbidealistisches Unternehmen wie die Inter-
kunst späterhin doch kommerziell stimmen muß.
Verpflichtung für die Folgeveranstaltungen, die
einigen Arbeitsschweiß kosten werden, weil der
gewisse Erfolgszwong im Nacken sitzt. Nun,
gerade im Bereich der Kunst, vor allem der
modernen Kunst, wird nichts „geschenkt". Sehen
wir als Primäres aber doch die Chance des
Weitermachens durch den gemachten Anfang.
Wien sollte endlich einmal stark bleiben, so
leicht das auch gesagt sein mag. Düsseldorf,
Basel, ia warum nicht auch Wien? Wir stellen uns
ganz hart gegen die Meinung, daß die Ausweitung
und weitere Veranstaltung von Kunstmessen
„Selbstmord auf Raten" sei. Letzten Endes muß
etwas, das man kaum oder gar nicht kennt, und
das sich nur partiell in stammkundenverpfropften
Galerien zur Schau stellt, erst recht zum Selbstmord
verurteilt sein, weil naturgemäß erweiterndes,
- lebenserholtendes Interesse fehlen muß. Darin
l liegt ein krasser Widerspruch. Wer nur einiger-
maßen die Meinungen periphärer Kreise und die
von noch weniger oder gar nicht damit befaßter
und interessierter Menschen zu hören versteht,
weiß, daß gegenüber der zeitgenössischen Kunst,
zu ihrem Selbstverständnis, eher Ablehnung besteht.
Nützen wir also Möglichkeiten - mit echter Hilfe
der Massenmedien -, ein wirkliches Verständnis
für die Kunst, für den Künstler der Gegenwart zu
erreichen. Bringen wir die moderne Kunst sich selbst
konfrontierend ins Bild, reden wir über sie, damit
sie ein Bestandteil des Lebens wird für viele und
nidtt nur für elitäre Wenige. Zeigen wir sie,
erklären wir, daß sie kein unnützer Ausstattungs-
oder Statusluxus sei, verscheuchen wir die
Sdiwellenangst vor Kunstgalerien, versuchen wir,
wertgerechter anzupreisen. Sa kann dieses Messe-
ereignis, der Interkunst in Wien, das eigentlich
allerseits ä priori positive Aufnahme fand, als
wenn .- um -
Au ust Macke, Straßenszene, Frühiahr 1914. Aus Skiz-
zen uch Nr. 63: Reise nach Tunis
August Macke, Sonniger Weg, 1913
Au ust Macke, Straßenszene, Frühiahr 1914. Aus Skiz-
zen uch Nr. 63: Reise nach Tunis
Ernst Ludwig Kirdmer, Kopf Ludwi Sdiames, 1913.
HolzschnittlWZV Dube 330111. Der rankturter Kunst-
händler wurde von Kirchner im Früh'ahr 1918 im Rahmen
der in Kreuzlingen entstandenen ildniskäpfe porträ-
tiert. Handdruck, signiert
Hantai, Lexe prima, 1971
Horst Antes auf der Interkunst 1976, Wien
Brancusi, Visage de temme. A. M. 2536 - D
eine der wenigen wirklichen Möglichkeiten gelten,
hier entscheidende Taten zu setzen. Für den Künstler,
den Kunstinteressierten und den Galeristen, der
für alle das Risiko trägt. Eine Kunstmesse ist wie
alle Messen dem uralten Gesetz von Angebot und
Nachfrage unterworfen. Aber im Gegensatz zur
„narmalen" Handelsware ist zum Leben Kunst
nicht unbedingt nötig, muß nicht gekauft werden,
noch weniger wenn sie nicht gefällt. Solche
international beschickte Messen können hier einiges
zu wirklicher Aufklärung beitragen. Wir wollen
absolut keine utopischen Gedanken suggerieren,
aber fast mahnend meinen: alle kommeri llen
Erwägungen sollten in einer Weise modifi ert
werden, daß auch noch Hand in Hand die
Bereitsdiaft gehen kann, auch das „Objekt Kunst"
in ein „innigeres" Verhältnis zum Interessierten -
spridi Erwerbenden, sprich Käufer - zu bringen.
Man sollte sich gründlich und umsichtig vorbereiten
auf die nächste Interkunst aus diesen Erwägungen
heraus. Lasse man sich nicht abschrecken, daß
anderswo sich fest etabliert der „Messemittelpunkt
der WeIt" für moderne Kunst befinden soll. Auch
dort hat man einmal angefangen. Wien hinkt
sowieso in vielem hinterher.
leopald netopil
1:1
Brancusi
Das Musee National d'Art Moderne von Paris
erbte 1957 unter der Bedingung, das Atelier
Brancusis im Museum zu rekonstruieren, die gesamte
Hinterlassenschaft des größten Bildhauers dieses
Jahrhunderts. Das Erbe beinhaltet außerdem 34
Zeichnungen, die im Atelier Brancusi aus
Konservierungsgründen nicht ständig ausgestellt
werden können. Aus diesen Gründen wurden von
Dezember 1975 bis Februar 1976 25 Zeichnungen
dem Publikum zur Besichtigung zugänglich gemacht.
Sein Autoporträt (Brancusi wurde am 16. Februar
1876 in Rumänien geboren und stammte aus einer
Bauerntamihe. Er besuchte die Kunstakademien von
Craiovie und Bukarest und ging 1903 zu Fuß nach
Paris), neben Frauenporträts, männlichen und
weiblichen Akten, die Protilstudie für den „Ersten
Schritt", Zeichnungen über das Thema Sokrates,
„Le Coq", „Baiser" und vor allem das „Symbole
de Joyce" sind zu sehen.
Brancusi, der fast in göttlicher Einsamkeit lebte und
schuf, war ein Schöpfer in allen Phasen seines
Seins. Er pirschte sich an seine leuchtenden Ideen
heran wie der Jäger ans Wild. Um seine Visionen
oder die Realität erstmalig festzuhalten, nahm er
seinen Zeichenstift oder seine Kamera. Dann suchte
er die Form in Aquarell- und Gouacheserien.
Erst wenn er sich der Sphäre des Wesentlichen
nähergekammen glaubte, begann er mit dem
Studium des geeigneten Materials: Holz, Bronze,
Marmor, Stein etc., um die Vision Gestalt werden
zu lassen.
Er hat in seiner Skulptur die Realität bis zur feinsten
Form, bis zur klarsten allumfassenden reinen Linie,
bis zum Symbol abstrahiert. Seine Arbeitsweise
glich einem göttlichen Kult, den er ieder Kreation
zuteil werden ließ. Er schmolz wie die Kiinstler
vor Tausenden Jahren die Bronze in seinem Ofen.
Er sägte die Eichen selbst, aus denen er seine
unendlichen Säulen schuf. Er behaute seinen
Marmor, aus welchem er seine ersten und letzten
Vögel entstehen ließ. Alle diese Techniken vollzog
er immer mit den gleichen Werkzeugen, und er
behauptete, mit dem reinsten Vergnügen.
Er war mit seinem inneren mikroskopischen Auge
der Meister des Wesentlichen. Sein berühmtes
Porträt von Jayce erhielt die abstrakteste Version,
die er kreierte. Eine Spirale und drei vertikale
Linien bilden das „Symbole de Joyce". Die Spirale
ist zwar ein ziemlich bekanntes Motiv der zwanziger
Jahre, aber die Spirale symbolisiert zum einen die
irlöndische Kunst und zum anderen die Brille -
das Auge - des Joyce. Die vertikalen Linien
korrespondieren mit Nase, Mund und den übrigen
Konturen des Gesichtes.
Brancusi erklärte damit das Wesentliche.
(Abb. 7) Mechtild Wierer
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