MAK

Full text: Monatszeitschrift V (1902 / Heft 8 und 9)

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architektur ergänzte das unerfreuliche Bild, das damals die ungarische 
Sektion bot. Seitdem sind noch nicht zwei Jahre verffossen und 
Ungarn ringt dem skeptischesten Besucher der Turiner Ausstellung 
aufrichtige Anerkennung ab. Den grossen Saal, der die ungarische 
Exposition birgt, hat der Architekt P. I-Iorti im Verein mit den Malern 
M. Roth und R. Scholz in aussergewöhnlich vornehmer, bei allem Reich- 
tum diskreter Weise ausgestattet; in den bordürenartigen Malereien der 
Wände, den Mosaiken und Verglasungen des grossen festlichen Portals, das 
den Mittelpunkt der ganzen Installation bildet, sind heimische Ornamen- 
tationsprinzipien aufs glücklichste mit modernen Ideen verschmolzen. Die 
Farbenstimmung des Raumes, die sich zwischen Blau und Violett bewegt, ist 
originell, ohne gesucht, zart, ohne schwächlich zu sein. Von den ausgestellten 
Interieurs zeigen wohl noch manche Reminiszenzen an die frühere verfehlte 
Richtung; die Mehrzahl aber bezeugt, dass der peinliche Gegensatz zwischen 
Form und Ornament, der in Paris so sehr gestört hat, überbrückt worden ist: 
die Formen sind individueller geworden, das Ornament organischer. Sehr 
hübsch sind namentlich die einfachen Speisezimmermöbel aus grüngebeiztem 
Holz mit Eisenbeschlägen und bescheidenen Polychromierungen, die 
E. Wiegand in Anlehnung an ungarisches Bauemmobiliar geschaffen hat. 
Derartige verständnisvolle Anknüpfungen scheinen mir für die gedeihliche 
volkstümliche Ausgestaltung der Moderne von ganz besonderem Wert zu sein. 
Im Bauernmobiliar besitzt ja das Kunsthandwerk jeden Landes sozusagen 
ein volksgeschmackliches Archiv mit unversiegbar reichen Quellen stets 
neuer und doch immer mit der historischen Entwicklung in nächster Ver- 
bindung stehender Anregungen. Freilich erfordert ihre richtige Nutzung viel 
künstlerischen Takt, da Äusserlichkeit und Maskeradenhaftigkeit gerade hier 
besonders naheliegen. 
Auf dem Gebiet der Keramik führt Zsolnay ein neues Genre vor -Vasen 
in wuchtigen, gut handwerklichen Formen mit ultramarinblauen Laufglasuren 
auf weissem Grund und diskreten Metallrefiexen. Flott bemalte Bauern- 
töpfereien hat J. Petridesz ausgestellt. Unter den Textilsachen fallen die 
Samtbrandmalereien der Frau Mirkowsky-Greguss auf. Im Email stehen 
Rappaport 8: Co. mit ihren durcheinanderfliessenden bunten Schmelzen und 
ihren famosen markigen Formen ganz einzig da. 
Die ungarische Sektion hat für die Turiner Ausstellung eine doppelte 
erfreuliche Bedeutung: einmal beweist sie dem italienischen Kunstgewerbe, 
das heute vielfach auf demselben Niveau steht wie Ungarn zur Zeit der 
Pariser Weltausstellung, dass energisches Lernenwollen in kurzer Frist zu 
schönen Zielen führen kann; dann aber bezeugt sie, von welch tiefeingreifen- 
den wohltätigen Wirkungen der Geschmacksaustausch gefolgt ist, den inter- 
nationale Ausstellungen notwendig mit sich bringen; dieser günstigen Konse- 
quenzen wird sicherlich auch die Erste Internationale Ausstellung für 
moderne dekorative Kunst in Turin nicht entbehren.
	        
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