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Volltext: Monatszeitschrift V (1902 / Heft 8 und 9)

Die Erforschung der voreugenianischen Schicksale des Manuskripts 
ist gleichbedeutend mit einem lehrreichen Einblick in mittelalterliche Kunst 
und ihr gewordene Gunst auf italienischem Boden. Die Handschrift, wenn 
auch Werkstattarbeit und gewiss nicht von einem Künstler ersten Ranges 
miniiert, war mit ihren fast zweihundert Bildern nur für einen reichen Biblio- 
philen erwerbbar. 
Hält man unter den italienischen Häusern Umschau, die in dem letzten 
Jahrhundert des Mittelalters ansehnliche Büchereien, und lzwar solche mit 
bedeutenden Beständen französischer Handschriften anlegten, so kommen 
im vorliegenden Falle _ abgesehen von den Gonzagas ä in erster Linie 
die Estes in Betracht; waren sie es doch, die ihren Ursprung von den 
Troianern ableiteten - die Stadt Este soll der Sage nach von dem Troianer 
Ateste, Antenors Gefährten, gegründet worden sein (vergl. hierüber Gorra, 
„Testi inediti di Storia Trojana" S. 88f.) - und es ist begreiflich, dass sie 
einem solchen „Ahnenbuch", wie dem „Roman de Troie", Aufmerksamkeit 
schenkten. In der Tat finden wir bereits in dem 1436 angelegten Inventar 
der Estensischen Hausbibliothek neben anderen Trojabüchern auch einen 
„Libro uno chiamado Troiano, in franxese, in membrana, coverto de chore 
verde" („Romania", II, 53). Kürzlich hat H. J. Hermann in einer gründ- 
lichen Studie über die Bilderhandschriften der Estes (jahrbuch der kunst- 
histor. Sammlungen XXI, 117 ff.) diese Exemplare französischer Werke 
besprochen (S. x28) und mit Recht darauf hingewiesen, dass der Bilder- 
schmuck der Manuskripte in dem Inventare fast gar keine Berücksichtigung 
fand; die Identifizierung der angeführten Stücke mit etwa noch erhaltenen 
Miniaturmanuskripten der Estes wird hierdurch sehr erschwert. 
Es ist aber doch möglich, noch einen Schritt weiter zu gehen, und zwar 
an der Hand eines zweiten Inventars der Este-Bibliothek aus dem Jahre x488, 
das auch die Blattzahl der Manuskripte verzeichnet; mit Hilfe dieser Kenn- 
zeichen gelang es A. Thomas („Romania" XVIII, 296 ff.), verschiedene, heute 
an weit entlegenen Fundstätten (Pariser Nationalbibliothek, Bodleiana in 
Oxford) verstreute Manuskripte als Stücke der alten Este-Bibliothek wieder- 
zuerkennen. Dieses Inventar verzeichnet nun einen „Liber Trojanus in mem- 
branis. N. 30, Cart. 188", also einen „Roman de Troie"-Codex mit 188 Blättern. 
Hiermit stimmt vollkommen die Blattzahl des Harleianus Nr. 4484 im Britischen 
Museum zu London  L. D. Ward, Catalogue of Romances I, 35 ff), und 
doch wäre es ein vorschnellesl Beginnen, dieses Exemplar ohne weiteres mit 
jenem Este-Manuskript zu identifizieren. Der Text gehört nicht zu der durch 
die italienische Gruppe vertretenen Rezension; die Miniaturen (Hgurale 
Füllungen von fünfzehn Initialen) sind im Vergleich zu dem reichen Bilder- 
schmuck dieser Gruppe dürftig zu nennen, und ausserdem fehlt auch der 
leiseste Hinweis, dass das Londoner Manuskript je eine andere Reise gemacht 
habe, als höchstens die über den Canal. 
Die Wiener Handschrift des Romans enthält 189 Blätter und kommt in 
der Blattzahl, wenn man von dem Harleianus absieht, unter den Manuskripten
	        
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