das Damenzimmer, die Kneipstube wurden im XIX. Jahrhundert mit Stimmungsakzenten
ausgestattet, die die alte Kunst in solcher Mannigfaltigkeit nicht kannte. Hier ist tatsächlich
ein Fortschritt zu verzeichnen und nach dieser Richtung wäre weiter zu schreiten. Nur
handelt es sich jetzt darum, die Fesseln historischer Formen abzuwerfen, und alle Mittel,
welche die Kultur der Vergangenheit zur Verfügung gestellt hat, in einheitlichem Sinne
frei und neu gestaltend zu verwerten. Die Form, an der das XIX. Jahrhundert noch
ängstlich klebte, muss zerbrochen und nur die Darstellung der Idee angestrebt werden,
was allerdings mehr künstlerische Kraft erfordert, als unsere Stilarchitekten besitzen.
Vorläufig sollte man von Stil gar nicht reden, den Begriff Stil ganz aus der Kunst-
betrachtung bannen. Muthesius findet an den bisherigen architektonischen Leistungen der
sogenannten Sezession durchaus nicht alles unbedenklich. Nicht allein die Verirrungen, die
durch missverstandene Nachahmung der Äusserlichkeiten des Sezessionsstiles herbei-
geführt wurden und die namentlich auf Rechnung urteilsloser Fabrikanten und neuerungs-
süchtiger Industrieller zurückzuführen sind, auch die Kunst der Grossen, der sogenannten
Führer, fordert vielfach zum Widerspruch heraus. Es fehlt ihr Natürlichkeit und
gesunde Werklichkeit.
Man sieht, Muthesius leistet den Modernen nicht blinde Gefolgschaft, noch viel
weniger geht er aber mit den Verfechtern einer Weiterbenützung der historischen Stile.
TreFflich ist seine Polemik gegen jede Art von Stilarchitelrtur. Ein vorzüglicher Kenner der
modernen englischen Kunst, findet er in ihr manchen wertvollen Fingerzeig für die
Bestrebungen auf dem Kontinente und voll warmer Empfindung für alles Echte weiss er
in der Vergangenheit wie in der modernen Bewegung stets Spreu von Weizen zu sondern.
Es wird auf dem Gebiete des Bauwesens wenig geschrieben, dem ein kundiger Leser so
ganz und gar zustimmen kann, wie es die leitenden Gedanken dieser ungemein anregenden
Abhandlung sind. Sie sollte überall gelesen und immer wieder gelesen werden, wo man
sich für moderne Kunstfragen interessiert, und sollte vor allem an Architektur- und
Kunstgewerbeschulen als geistige Richtschnur dienen. J. Folnesics
IN NEUES WERK ÜBER WALTER CRANEÜk Der Künstler Walter Crane
hat das seltene Glück, volle Anerkennung zu Finden, während er noch imstande ist,
solche zu geniessen, und wohl kann man ihm dazu gratulieren, dass sein Leben und Werk
von einem so fähigen Richter behandelt wurden, als der Autor des von Bell und Sons eben
veröffentlichten Prachtwerkes es ist. Wie die meisten Publikationen dieses Verlagshauses,
ist auch dieses Werk mit zahlreichen Illustrationen aus jedem Gebiete von Walter Cranes
Tätigkeit versehen. Als wahrer Apostel der Kunstreform, als Befreier der Massen von der
trübseligen Umgebung, welche ihnen allzu lange genügte, als weltberühmter Illustrator von
Kinderbüchern, als vollendeter Kunsthandwerker, als beredsamer Lehrer der wahren
Kunstmission hat Walter Crane eine gewaltigere Revolution im Milieu des täglichen
Lebens bewirkt als irgend ein anderer seiner Zeitgenossen. Hätte Randolph Caldecott
länger gelebt, so wäre er wahrscheinlich ein ernster Rivale Cranes geworden, denn sein
Humor war einschneidender selbst als der seines Kollegen in der Illustration der Kinder-
stuben-Verse. Die beiden anderen Grossmeister dekorativer Zeichnung, Sir Edward Burne
jones und William Morris sprachen, jedoch ein weit kleineres Publikum an als der
„Zauberer der Kinderstube". Zur Würdigung ihres Werkes gehört schon ein gewisser
Grad von Bildung; Walter Crane aber hat einen viel grösseren Triumph erzielt als diese
beiden. Er spricht eine Sprache, die nicht nur jedem Kinde verständlich ist, sondern auch
allen jenen, welche das Andenken ihrer eigenen Unschuldsjahre oder einen Funken der
jedem Menschenwesen eigenen Schönheitsliebe bewahrt haben, wie immer auch dieser
Funke durch feindseliges Geschick verdunkelt sein mag. Das Geheimnis seiner Macht ist
nicht weit zu suchen. Der Löser der Fesseln des Hergebrachten, der Zerstörer alters-
" The Art of Walter Crane von P. G. Konody (G. Bell 8: Sons, London).