EISTER DER INNENKÜNSTE Die Zeit der Vorbildersammlungen im Kunst-
gewerbe ist vorbei. Was man heute darunter versteht, wird nicht zum Zwecke
direkter Nachahmung publiziert, sondern nur um bestimmte Gesamtvorstellungen zu
erwecken, und um die eigenartigen Bestrebungen hervorragender Künstler in weiteren
Kreisen bekannt zu machen. Gerade das Beste auf diesem Gebiete ist oft am wenigsten
vorbildlich im gewöhnlichen Sinne. Auf diesen Umstand wurde bereits anlässlich der Be-
sprechung einer mit dieser Publikation im Zusammenhange stehenden Sammlung von
Entwürfen von M. H. Baillie-Scott hingewiesen." Dasselbe ist auch bei diesen Entwürfen
für das Haus eines Kunstfreundes der Fall. Der eine stammt von der Hand des schottischen
Architekten Mackintosh, der andere ist eine Wiener Arbeit von Leopold Bauer. Beiden
Entwürfen ist Eines gemeinsam: der Wohnraum, ja das ganze Haus wird als ein Ganzes auf-
gefasst, die Ausstattung, das einzelne Möbelstück sind nur untergeordnete Einzelteile, so wie
der Knopf am modernen Rock kein Einzelkunstwerk ist, wie er es oft im XVIII. Jahrhundert
war, sondern sich der Kleidung vollkommen unterordnet. Einfachheit der Form und Ein-
heitlichkeit der Farbengebung sowie ein einheitlicher Farbenplan der Gesamtanordnung
sind konsequent durchgeführt. Das Ornament nimmt Rücksicht auf den Gesamteindruck
und strebt nicht nach selbständiger Bedeutung, alle Anklänge an die Kunstformen der
Vergangenheit sind konsequent vermieden. Kurz es ist äusserste,rücksichtslosesteSezession.
Mackintosh und Leopold Bauer sind Künstler von ganz selbständigem Schönheits-
empFmden, Leute, die sich von der Vergangenheit völlig emanzipiert haben und für die die
Gegenwart keinen anderen Inhalt hat als den des Zugeständnisses absolut freier Betätigung.
Daher entfernen sie sich auf unerreichbare Längen vom allgemeinen und mit Rücksicht
auf die Langsamkeit derartiger Entwicklungen für heute noch vollkommen berechtigten
Geschmack. Sie fallen ganz aus dem Rahmen des bisher Dagewesenen und je individueller
sie sich geberden, desto weniger gefallen sie und destoweniger sind sie mustergiltig im
Sinne geistlosen Kopierens. Die Menge glaubt bei jedem Kunstwerk, das man ihr anpreist,
darin das neue Vorbild erkennen zu müssen. Und die schaffenden Künstler glauben oft
selbst, dass sie Vorbilder aufstellen. Aber sowohl sie wie das Publikum sind dabei im Irrtum.
Vorbildlich im landläufigen Sinne. das heisst, geeignet um mit kleinen Änderungen einfach
kopiert zu werden, sind sie durchaus nicht. Vorbildlich können sie nur in dem Sinne
genannt werden, als sie das Gesetz der freien Betätigung des eigenen Kunstempfindens
demonstrieren. Im übrigen sind sie einzigartig und damit auch unvorbildlich. Es sind in
sich vollkommen abgeschlossene Kunstwerke, die jedem anderen als ihrem Erfinder einen
ästhetischen Zwang auferlegen, nämlich den Zwang, sich in etwas völlig Fremdes hinein-
zuleben. Sie verlieren allmählich ihr abstossendes Wesen, wenn man sich langsam mit
ihnen zu befreunden trachtet, aber weil sie individuell empfunden sind, bleiben sie uns
doch immer fremd, so wie jeder Mensch für den andern im Grunde seines Wesens ein
Fremder bleibt. So zeigt sich zum Beispiel in den Räumen, die Mackintosh komponiert,
etwas unheimlich Geisterhaftes, ein Verzichten auf alles Liebliche, ein Hervorheben des
Geheimnisvollen, ein Zug ins Grosse, der allem Gefälligen ausweicht. Nüchtern und
phantastisch zugleich, primitiv und dabei doch überfein liefern sie den Beweis, dass die
moderne Interieur-Kunst keine Schablonen aufstellt, die fürjedermann passen,dass sie keine
I-Iotel- und Mietwohnungskunst ist, sondern eine Kunst aus Eigenem. Unserer fein
empfindenden Zeit war es vorbehalten, überall, wo es sich um prägnanten Ausdruck
subjektiven Schönheitsemplindens handelt, solche Schärfen herbeizuführen. Ein Entrinnen
aus dem Wirrsal, das dadurch entsteht, ist nur möglich auf Grund der freien Betätigung
des eigenen Kunstempfindens, auf Grund einer möglichst sorgfältigen ästhetischen Erziehung,
die jeder an sich selbst vornimmt. Das, worausjedoch weder die Kunst, noch das Publikum
Vorteil ziehen, ist das Nachahmen.
f Haus eines Kunstfreundes. Entwurf von Ch. R. Mackiniosh. Glasgow! Das Haus eines Kunstfreundes,
Entwurf von Leopold Bauer. Wien. Darmstadt. Verlag von Alexander Koch. Fol.
"" Meister der lnnenkunst I. A. Koch, Darmstadt, besprochen im Jahrg. V. Seite 46H.