MAK

Volltext: Monatszeitschrift V (1902 / Heft 11 und 12)

EISTER DER INNENKÜNSTE Die Zeit der Vorbildersammlungen im Kunst- 
gewerbe ist vorbei. Was man heute darunter versteht, wird nicht zum Zwecke 
direkter Nachahmung publiziert, sondern nur um bestimmte Gesamtvorstellungen zu 
erwecken, und um die eigenartigen Bestrebungen hervorragender Künstler in weiteren 
Kreisen bekannt zu machen. Gerade das Beste auf diesem Gebiete ist oft am wenigsten 
vorbildlich im gewöhnlichen Sinne. Auf diesen Umstand wurde bereits anlässlich der Be- 
sprechung einer mit dieser Publikation im Zusammenhange stehenden Sammlung von 
Entwürfen von M. H. Baillie-Scott hingewiesen." Dasselbe ist auch bei diesen Entwürfen 
für das Haus eines Kunstfreundes der Fall. Der eine stammt von der Hand des schottischen 
Architekten Mackintosh, der andere ist eine Wiener Arbeit von Leopold Bauer. Beiden 
Entwürfen ist Eines gemeinsam: der Wohnraum, ja das ganze Haus wird als ein Ganzes auf- 
gefasst, die Ausstattung, das einzelne Möbelstück sind nur untergeordnete Einzelteile, so wie 
der Knopf am modernen Rock kein Einzelkunstwerk ist, wie er es oft im XVIII. Jahrhundert 
war, sondern sich der Kleidung vollkommen unterordnet. Einfachheit der Form und Ein- 
heitlichkeit der Farbengebung sowie ein einheitlicher Farbenplan der Gesamtanordnung 
sind konsequent durchgeführt. Das Ornament nimmt Rücksicht auf den Gesamteindruck 
und strebt nicht nach selbständiger Bedeutung, alle Anklänge an die Kunstformen der 
Vergangenheit sind konsequent vermieden. Kurz es ist äusserste,rücksichtslosesteSezession. 
Mackintosh und Leopold Bauer sind Künstler von ganz selbständigem Schönheits- 
empFmden, Leute, die sich von der Vergangenheit völlig emanzipiert haben und für die die 
Gegenwart keinen anderen Inhalt hat als den des Zugeständnisses absolut freier Betätigung. 
Daher entfernen sie sich auf unerreichbare Längen vom allgemeinen und mit Rücksicht 
auf die Langsamkeit derartiger Entwicklungen für heute noch vollkommen berechtigten 
Geschmack. Sie fallen ganz aus dem Rahmen des bisher Dagewesenen und je individueller 
sie sich geberden, desto weniger gefallen sie und destoweniger sind sie mustergiltig im 
Sinne geistlosen Kopierens. Die Menge glaubt bei jedem Kunstwerk, das man ihr anpreist, 
darin das neue Vorbild erkennen zu müssen. Und die schaffenden Künstler glauben oft 
selbst, dass sie Vorbilder aufstellen. Aber sowohl sie wie das Publikum sind dabei im Irrtum. 
Vorbildlich im landläufigen Sinne. das heisst, geeignet um mit kleinen Änderungen einfach 
kopiert zu werden, sind sie durchaus nicht. Vorbildlich können sie nur in dem Sinne 
genannt werden, als sie das Gesetz der freien Betätigung des eigenen Kunstempfindens 
demonstrieren. Im übrigen sind sie einzigartig und damit auch unvorbildlich. Es sind in 
sich vollkommen abgeschlossene Kunstwerke, die jedem anderen als ihrem Erfinder einen 
ästhetischen Zwang auferlegen, nämlich den Zwang, sich in etwas völlig Fremdes hinein- 
zuleben. Sie verlieren allmählich ihr abstossendes Wesen, wenn man sich langsam mit 
ihnen zu befreunden trachtet, aber weil sie individuell empfunden sind, bleiben sie uns 
doch immer fremd, so wie jeder Mensch für den andern im Grunde seines Wesens ein 
Fremder bleibt. So zeigt sich zum Beispiel in den Räumen, die Mackintosh komponiert, 
etwas unheimlich Geisterhaftes, ein Verzichten auf alles Liebliche, ein Hervorheben des 
Geheimnisvollen, ein Zug ins Grosse, der allem Gefälligen ausweicht. Nüchtern und 
phantastisch zugleich, primitiv und dabei doch überfein liefern sie den Beweis, dass die 
moderne Interieur-Kunst keine Schablonen aufstellt, die fürjedermann passen,dass sie keine 
I-Iotel- und Mietwohnungskunst ist, sondern eine Kunst aus Eigenem. Unserer fein 
empfindenden Zeit war es vorbehalten, überall, wo es sich um prägnanten Ausdruck 
subjektiven Schönheitsemplindens handelt, solche Schärfen herbeizuführen. Ein Entrinnen 
aus dem Wirrsal, das dadurch entsteht, ist nur möglich auf Grund der freien Betätigung 
des eigenen Kunstempfindens, auf Grund einer möglichst sorgfältigen ästhetischen Erziehung, 
die jeder an sich selbst vornimmt. Das, worausjedoch weder die Kunst, noch das Publikum 
Vorteil ziehen, ist das Nachahmen. 
f Haus eines Kunstfreundes. Entwurf von Ch. R. Mackiniosh. Glasgow! Das Haus eines Kunstfreundes, 
Entwurf von Leopold Bauer. Wien. Darmstadt. Verlag von Alexander Koch. Fol. 
"" Meister der lnnenkunst I. A. Koch, Darmstadt, besprochen im Jahrg. V. Seite 46H.
	        
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