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Full text: Monatszeitschrift VI (1903 / Heft 8 und 9)

ODERNER SCHMUCK} 
Als Van de Velde vor 
einigen Jahren einen völlig neuen 
Formenkreis in die Schmuck- 
fabrikation einbezog, hatte man 
die Empfindung, dass in diesen 
Formen zwar deutliche Annähe- 
rungsversuche an den Charakter 
der modernen Tracht lägen, dass 
aber Anmut, Grazie und Phantasie 
einen sehr geringen Anteil an 
der Erfindung dieser neuen 
Sehmuckgegenstände hätten: Es 
war anzunehmen, dass nur ein 
geringer Prozentsatz des Publi- 
kums, und unter diesem wieder 
der weitaus grössere Teil der- 
jenigen Menschen, die stets auf 
der Jagd nach Neuem aus sind, als 
derjenigen, die mit ästhetischen 
Erwägungen an die Auswahl eines 
Schmuckes herantreten, an die- 
sen Erzeugnissen Gefallen finden 
wird. Der Anschluss an jene Bil- 
dungsgesetze, die seit etwa 80 
Jahren unsere Tracht beherr- 
schen, war in diesen absonder- 
liehenForrnentatsächlicherreicht. 
Gleichzeitig liess sich eine ent- 
fernteVerwandtschaftmitErzeug- 
nissen der Goldschmiedekunst um 
dieMitte des vorigenJahrhunderts 
konstatieren. Die Schmuckarbei- 
ten der Fünfziger-Jahre waren 
aus einem von stilistischen Arn- 
bitionen unberührten Kunsthandwerk hervorgegangen. Der Goldschmiedjener Zeit küm- 
merte sich viel mehr um den Geschmack seiner Kunden als um künstlerische Vorbilder 
aus früheren Jahrhunderten. Er war kunsthistorisch vollkommen ungebildet und trat 
mit der hohen Kunst nur dann in engere Berührung, wenn es sich um exzeptionelle und 
ganz bedeutende Aufträge handelte. Allerlei Verschlingungen von Goldstäben und breit- 
iiächige Umrahmungen von Edelsteinen wurden als Busennadeln, Broschen, Ohr- und 
Armringe, Gürtelschliessen u. s. w. verarbeitet. Diese Dinge schwanden mit dem er- 
wachenden Interesse für alte Kunst. Niemand bedauerte ihren Untergang, denn 
Kunstwerke waren es wahrhaftig nicht. Was sie aber darstellten, das lässt sich als ein 
Bestreben nach Modernität bezeichnen, dem nur eines fehlt, in diesem Falle allerdings 
das Wichtigste: der Hauch künstlerischen Lebens. Diese absolute Geistlosigkeit hinsicht- 
lich der künstlerischen Inspiration ist nun bei den Gebilden Van de Veldes, wie sie in 
allen grösseren Städten in Verbindung mit Sezessionsausstellungen und dergleichen auf- 
traten, nicht mehr zu finden gewesen. Ein gewisser Gradvon Erfindung, von künstlerischer 
 
Doppelschrank von W. J. Neathy 
1' Moderner Schmuck von Walter Ortlieh. x6 farbige Tafeln nach Originalenlwürfen. Verlagsanstalt 
Karl Koch-Kraus, Berlin. 
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