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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild, 2. Abtheilung: Niederösterreich

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Die Vielseitigkeit der Entwicklung Niederösterreichs hat ihren tieferen Grund in 
Thatsachen, welche als feste Bürgschaft für die Fortdauer der hervorragenden Stellung 
dieses Kronlandes im Gesammtreiche gelten dürfen. Geschichtliche, natürliche und politische 
Momente begründen die Bedeutung der Volkswirthschaft dieses Landes. Geschichtliche 
Momente — denn Niederösterreich kann auf eine reiche Vergangenheit in seinen: Wirth- 
schaftsleben zurückblicken; wie viele seiner Städte und Märkte waren beim Anbruche der 
Cultur schon die Sammelplätze des Gewerbfleißes und Handels; wie viele Privilegien und 
Stapelrechte bezeugen, daß schon im XIII. Jahrhundert hier ein fleißiger Bürgerstand 
seine Wohnsitze aufgeschlagen hatte, wie lebendig war der Waarenzug auf der mittleren 
Donau und auf der Enns schon in den Zeiten der ersten Babenberger! Und seit acht Jahr 
hunderten haben selbst die mächtigsten Feinde der Civilisation dieses Wirtschaftsleben 
niemals zu ersticken vermocht. Dazu kommt als natürliche Grundlage die günstige Aus 
stattung des Landes in fast allen Beziehungen und jene Mannigfaltigkeit, jene Anregung 
des Erwerbes, die in den mächtig wirkenden Gegensätzen der erhabenen Alpenwelt einerseits, 
der fruchtbaren ungarischen Tiefebene anderseits zu suchen ist. Von den schneebedeckten 
Gipfeln jener bis zu der steppenartigen Einförmigkeit dieser sind alle Übergänge des 
Bodens und Klimas in Niederösterreich zu finden. Und endlich der große politische 
Einfluß, welchen die Entwicklung Wiens als der Hauptstadt eines mächtigen Gesammt- 
staates auf das umgebende Land ansüben mußte! Er tritt uns allenthalben hier sichtbar 
entgegen. Zwar hat man die Städte neuerer Zeit in gewissem Sinne als eine Gefahr für 
das Flachland bezeichnet, weil sie demselben Lebens- und Arbeitskraft häufig im Übermaß 
entziehen; von Wien gilt dies jedoch Niederösterreich gegenüber nur in sehr beschränkten: 
Sinne, denn die Stadt erneuert und verstärkt ihre Bevölkerung, wie wir an anderer 
Stelle gezeigt haben, großentheils auf eigenem Boden und sie war besonders in früheren 
Jahren und ist noch heute ein kräftigerer Anziehungspunkt für die Angehörigen ferner 
gelegener Kronlünder als für diejenigen der unnüttelbar vor ihren Thoren ansäßigen 
Landbevölkerung. Desto bedeutender aber wirkt umgekehrt der sprudelnde Quell geistiger 
und materieller Anregung, welcher aus der Großstadt dem ganzen dieselbe umgebenden 
Kronlande zufließt. Es genügt ein flüchtiger Blick auf die Bodenwirthschaft des Landes, 
auf die Lagerung der Gewerbe und Fabriken ii: der nächsten Nähe der Residenz, auf die 
Dichte der Bevölkerung in dem Industriellen Viertel unter dein Wienerwalde und in dem 
breiten Gürtel längs der Donau, sowie endlich auf die unser Kronland durchziehenden 
Verkehrsstraßen, die alle in dein Knotenpunkte Wien zusamineiitreffen, um dei: eminent 
vortheilhaften Einfluß der Reichshanptstadt zu ermessen. Ja, viele dieser Wirkungen ver 
binden das Wirthschafts- und Culturleben Wiens mit demjenigen Niederösterreichs so innig, 
daß es kaum möglich ist, eine strenge Trennung zwischen Stadt und Land durchzilführen.
	        
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