Wer die neueren Leistungen der englischen Wohnbaukunst mit
Interesse verfolgt, wird sich naturgemäss die Frage vorlegen müssen, wie es
denn eigentlich gekommen ist, dass das Inselreich eine so grosse Über-
legenheit auf diesem Gebiet erringen konnte, eine so grosse Sicherheit in
der Beantwortung und Lösung gerade jener Aufgaben, denen gegenüber bei
uns heute Ratlosigkeit und Verwirrung vorherrschen.
Hermann Muthesius gibt in seinem soeben bei E. Wasmuth, Berlin,
erscheinenden grossangelegten Werke: „Das englische Haus" hierüber klaren
und erschöpfenden Aufschluss. Der erste Band, die „Entwicklung" des
Hauses behandelnd, liegt schon vor, ein zweiter über „Bedingungen, Anlage
und Aufbau", ein dritter über den „Innenraum" sind angekündigt.
Schon das, was bereits im ersten Bande geboten wird, füllt eine Lücke
in der deutschen und vielleicht auch in der englischen Literatur, der ein
übersichtlich zusammenfassendes Werk dieser Art noch fehlt, so grossartig
auch die mannigfaltigen englischen Publikationen über verschiedene Einzel-
gebiete auftreten.
Die Lektüre dieses lebendig und anregend geschriebenen Werkes kann
nicht verfehlen, einen tiefen Eindruck hervorzurufen. Mit germanischer
Gründlichkeit sind die Quellen aufgesucht, die Beziehungen verfolgt und
blossgelegt, so dass wir den Stammbaum des englischen Hauses von seinen
alten Wurzeln bis zu seinem modernen Wipfel vor uns aufgezeichnet
sehen. Und eine fesselnde Darstellung bringt alle die wichtigen einzelnen
Verzweigungen immer wieder in Zusammenhang mit der Entwicklung der
Kultur, wir begreifen die innere Notwendigkeit, mit der die Veränderungen
hervorgegangen sind, wir fühlen den mächtigen Wachstumstrieb, der aus
den gesunden Wurzeln durch den kräftigen Stamm in die heute so blühende
Krone strömt.
Da ist vor allem eine prächtige Einleitung, in der die Grundlagen des
englischen Volkscharakters, die Liebe zur Freiheit und zur Natur, die
Stetigkeit der Lebensgewohnheiten, das Bedürfnis nach einem Machtgebiet
stark und frei entwickelter Persönlichkeiten, als jene Triebkräfte aufgedeckt
werden, die aus dem Einzelwohnhaus die Burg des Besitzers gemacht
haben.
Da ist aus Klima und aus politischer Entwicklung aufgeklärt, warum
die städtische Baukunst im Inselreich so sehr zurücktritt vor der ländlichen,
in der allein das individuelle Wohnbedürfnis sich ausleben kann.
Da ist aber auch viel von der so wertvollen Nutzanwendung gesprochen,
die der Kontinent mit seinem lebendig gewordenen Streben nach künst-
lerischer Kultur aus dieser fertig vor uns dastehenden und darum so
mächtigen englischen Kulturentwicklung ziehen sollte.
„Man muss sich bei unseren heutigen Kunstbestrebungen in einem klar
bleiben", sagt Muthesius, „eine künstlerische Kultur kann nur bei dem
einzelnen beginnen und dieser einzelne kann seinen Kunstsinn nur in der
Gestaltung seiner nächsten Umgebung, in seinen Wohnräumen und seinem