KLEINE NACHRICHTEN Sie
ERLINER DEKQRATIVE CHRQNIK. Was man in Wien und in Paris,
durch Felix Auberts Entwürfe vor allem, versucht hat: der Spitzenkunst Motive aus
neuer Formsprache zuzuführen, das findet jetzt auch in Deutschland Nachfolge.
Wie Aubert für die nationale Chantillytechnik moderne Zeichnungen machte, so
fertigte Xenia Krüger für die Nadelspitze des Riesengebirges Muster. In der grossen
Berliner Kunstausstellung sieht man hiervon Proben und die subtilen Federzeichnungen
geben völlig den Eindruck der ausgeführten Spitze in allen Kreisen der Tonabstufung
durch dünnere und dichtere Fadenstellungen.
Mannigfaltig ist die ornamentale Welt dieser Entwürfe. Das Floreale, Vegetative
herrscht vor. Mit sicherer I-Iand wird das Gewirr verstrickter, verflochtener Schlingpiianzen,
durch deren üppiges Durcheinanderspriessen noch halmiges Blattwerk sich ringelt und
züngelt, rhythmisch gegliedert, so dass sich ein reich und vielfältig nuanciertes Fadentili-
gran daraus ergibt. In strengerer Stilisierung, mehr im Geist der alten klassischen Spitzen
ziehen sich auf einem andern Entwurf palmettenartige Bordürenranken über einen
Spitzensaum in unendlichen Voluten, eine aus der andern wachsend.
Fächerförmige Gebilde mit stark gesponnenen Rändern heben sich reliefartig aus
dem Schleiergrund, und als Füllung spannt sich zwischen ihnen feines Spinnennetzgewebe.
Auch das reine Linearornament des verschlungenen und verschleiften Bandwerks
wird freispielend angewendet.
Die schlicht sich gebenden Motive der guirlandenartig hängenden Weinranken mit
herabschwebenden Traubenbündeln erreichen dankbare Wirkung.
Und schliesslich stellen sich zum Linien- und zum Pflanzenornament noch Motive aus
einem ganz andern Bereich ein, aus den Haeckelschen Kunstformen der Natur. Zu Vor-
bildem wird die unregelmässig gezackte Gestalt der Seesterne genommen, die mit der
lebendigen Bewegung ihrer Ausstrahlung und mit ihrer furchigen schrafiierten Struktur
sich gut für die flüssige bewegliche Spitzentechnik und für die Ausdrucksmöglichkeit des
Fadengespinstes eignet.
Sehr anregend ist die Ausstellung der Sitzmöbel, die soeben im Lichthof des Kunst-
gewerbemuseums, von Dr. Swarzenski inszeniert, eröEnet wurde. Sie gibt einen guten
Überblick über die Metamorphose der Stühle in ihren mannigfachen Wandlungen und sie
bietet Besonderes dadurch, dass sie neben den Museumsstücken viel Objekte aus Privat-
besitz heranzieht und so das Familienmobiliar der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts gut
illustriert. Vom Chorgestühl des XIII. ]ahrhunderts mit seinen geschnitzten Tieren, dem
Adler und der Taube mit den Spruchband bis zu den modernen Wiener Korbmöbeln geht
der Weg.
Beobachtungen nach den verschiedensten Gesichtspunkten kann man auf ihm
ansstellen. Besonders fesselnd ist es, die Wandlungen eines Typus, zum Beispiel des
I-Iockers durch die historischen Stilperioden zu verfolgen.
In deutscherFrühzeit sind die Hocker rein konstruktiv als Holzbau errichtet. Entweder
eine Pfostenkomposition aus dreieckig gestellten derben Rundhölzern mit verbindenden
Seiten- und Querstegen und dem wie ein Deckel daraufliegenden Sitzbrett. Durch das
weiterführen der Beinpfosten über den Sitz und deren Stegverbindung entsteht dann der
sehr bekannte dreieckige Arrnlehnstuhl, der der typische, niederdeutsche und englische
Bauemstuhl wird, alle Stile überdauert und in unserer Zeit durch die organische Anpassung
seiner Sitz- und Stützlinien an den Umriss des sitzenden Menschen neue Beachtung und
Gunst gewann. Daneben der andere Typus des I-Iockers, nicht aus Pfosten sondern aus
Brettern gefügt, kastenmässig, vier Stützbretter und das daraufliegende Brett. Diese
Brettkonstruktion, die eigentlich die primitivste Art der Tischlerarbeit darstellt, über-
nahm die Renaissance, weil sie im Gegensatz zur Pfostenarchitektur für Schmuck und
Ornament das weiteste Feld bot. Die Renaissancehocker und die aus ihnen durch Ver-