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Ranke nichtsdestoweniger ein vornehmer Platz vorbehalten. Am Beginne
des Mittelalters freilich trat sie zunächst an Bedeutung zurück. Den
Völkern, die da als Neulinge auf der politischen Schaubühne erschienen
und in politischer Beziehung die Herren und somit auch die präsumtiven
Culturträger des Westens geworden waren, mangelte es zunächst an den
entsprechend hoch und feingestimmten Kunstorganen, um die künst-
lerische Bedeutung der Rankenornamente zu würdigen. Der sogenannte
Völkerwanderungsstil erscheint geradezu charakterisirt durch die Bevor-
zugung, welche darin den einfacheren Ornamentformen von mehr mine-
ralisch-geometrischem Charakter, dem Zickzack, dem Flechtbande u. dgl.
zugewendet wurde. Wo sich die fortlaufende Wellenranke vorfindet, dort
erscheint sie in möglichst geometrischer Charakterisirung, als Spiralranke.
Erst in der Zeit Karl's des Großen waren die Franken und die mit
ihnen politisch verbundenen germanischen Völker zu jener Reife des
Kunstverständnisses gediehen, dass sie allmälig auch das Pflanzenornament,
und darunter insbesondere die Ranke zu würdigen lernten. Die bekannte
Bibel Karls des Kahlen zeigt bereits das Pßanzeuranltenornament wieder
als maßgebendes Verzierungselement. Und zwar ist dasselbe naturgemäß
gezeichnet und ausgeführt in engster Anlehnung an antike Vorbilder aus
der römischen Kaiserzeit. Es rist die erste Renaissance der Antike, die
wir in karolingischer Zeit zu verzeichnen haben. Die daraulfolgende ro-
manische Kunstperiode bedeutet auch in Bezug auf das Rankenornatnent
blos eine Fortentwickelung der in der karolingischen_Kunst wieder zur
Herrschaft gelangten spätantiken Formen.
Von allen Stilperioden, die seit dem Ausgange des Alterthums bis
auf den heutigen Tag im christlichen Abendlande einander abgelöst
haben, ist die gothische diejenige gewesen, in welcher man sich von
der klassischen Antike am weitesten entfernt hat. Von einer Stilweise, die
in den Zierformen blos den Wiederklang der structiven Principien und
Formen erkennen wollte, hatte das Rankenornament begreiflichermaßen
wenig zu erwarten. Und in der That ist die Verwendung des Ranken-
ornaments, wenigstens nordwärts der Alpen, in der gothischen Zeit eine
verhältnissmässig beschränkte gewesen. Aber völlig unterdrückt konnte
es auch damals nicht werden, wenngleich die Stilisirung des Akanthus
von der seit römischer Zeit üblichen und herkömmlichen beträchtlich ab-
wich. S0 entstand das gothische Kriechwerk, ein lappig gegliedertes
und in krausen Contouren dahinschlurfendes Laubgewinde, das aber im
Grunde deutlich das Schema der fortlaufenden Wellenranke einhmt. Es
ist dies die weitgehendste Annäherung an die geometrische Stilisirung,
die man im Abendlande mit der Akanthusranke jemals vorgenommen hat:
aber von jener wirklich geometrischen Charakteristik, wie sie das Ranken-
ornament in der sarazenischen Arabeske gefunden hat, ist das gothische
Kriechwerk noch, unendlich weit entfernt. Und wie unnatürlich diese
gothische Bildung des Rankenwerks im Abendlande selbst empfunden
worden ist, dies beweist der Eifer, mit dem man sich sofort nach dem
Eindringen der Renaissance nordwärts der Alpen auf eine erneuerte Pflege
des antikisirenden Rankenornameuts gestürzt hat, dies beweist die reißende
Schnelligkeit, mit welcher das gothische Kriechwerk vom neuaufgenom-
menen Renaissance-Rankenwerk verdrängt worden ist. .. .
Seit der Renaissance kann man abermals ein stetiges Anwachsen der
naturalisirenden Tendenz im Rankenornament wahrnehmen. Es ist der
gleiche Process, der sich schon einmal in der Kunstgeschichte - am Be-
ginne der- römischen Kaiserzeit - anzubahnen schien. Wurde er aber
damals durch die Ungunst der Zeiten, durch das Dazwischenkommen so-
zusagen reactionärer Tendenzen auf allen culturellen Gebieten unter-
brochen und_ zum Stillstande gebracht, so sind in neuerer Zeit nicht blos
solche Störungen nicht eingetreten, sondern es haben sich vielmehr
namentlich in unserem Jahrhunderte die mannigfachsten Kräfte, wie da
sind: der Aufschwung der naturwissenschaftlichen Forschung, die tech-
nischen Erfindungen und die Verkehrserleichterungen, zusammengefunden,
um der naturalisirenden Tendenz im Kunstschalfen mächtigsten Vorschub
zu leisten. Die ganze Entwickelung des Rankenornaments scheint somit
auf das Endziel einer allmäligen Naturalisirung hinzutreiben.
Dennoch behauptet das stilisirte Rankenornament noch heute den ansehn-
lichsten Platz, übt die majestätisch und ebenmäßig einherrollende Wellen-
ranke noch immer ihren unwiderstehlichen Reiz, bleibt dieser Meister-
schöpfung des größten unter allen Kunstvölkern dieser Erde ihr unzer-
störbarer, classischer Werth auch fürderhin gesichert.
Angelegenheiten des Oesterr. Museums und der mit
demselben verbundenen Institute.
AUSZOIOhBIIDg. Se. k. u. k. Apostol. Majestät haben mit Allerh.
Entschließung vom 13. Mai d. J. dem Curator des Oesterr. Museums und
Präsidenten des Wiener Kunstgewerbe-Vereines, kaiserlichen Rathe Alois
Hanusch in Anerkennung seiner Verdienste um die österreichische Kunst-
industrie taxfrei den Orden der Eisernen Krone dritter Classe allergnädigst
zu verleihen geruht.
Garoussel-Gostüm-Ausstellung. Se. k. u. k. Hoheit der durchl.
Herr Erzherzog Albrecht hatFreitag den 4.. v. M. Nachmittags, geleitet
von Vicedirector Reg.-Rath Bu che r, die Caroussel-Costüm-Ausstellung im
Oesterr. Museum durch einen 5], sttindigen Besuch ausgezeichnet.
Die Ausstellung wurde am Pfingstrnontag um 6 UhrAbends geschlossen.
Ausstellung ägyptischer Alherthümer. Anschließend an'die
Caroussel-Costüm-Ausstellung wurde nach Abräumung derselben" im
Saale VI des Museums eine Ausstellung ägyptischer Alterthvlinier,
Eigenthum des Herrn Th. Graf, eröEnet. Diese Ausstellung entbältvdie
bekannte Porträtgalerie in Verbindung mit einer bisher in Europa nqch