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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

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unglaublich es klingt, diele Fabrikanten und Gewerbetreibenden 
fcheinen wirklich der Meinung zu fein, daß die moderne Kunft* 
bewegung eine Bewegung der Künftler ift, und daß lediglich 
die Künftler die Bewegung gemacht haben, und daß es nichts 
weiteren bedarf, als die Künftler als Störenfriede abzufcbaffen. 
In ihrer traurigen Verblendung fcheinen diefe Menfchen nicht 
zu ahnen, daß fich in der modernen Kunftbewegung der Ge= 
nius des Volkes regt, und daß der Staat, die Gefellfchaft, die 
Polizei, die Zunft kein Mittel befi^t, um die wachfenden Kräfte 
diefes Genius zu hemmen. Diefe Leute fcheinen fich wirklich 
einzubilden, daß der Staat nur dazu da ift, den egoiftifchen In= 
tereffen einzelner Erwerbsgruppen zuliebe, den ungeheuren 
Segen, den der fich entfaltende Genius über das Land bringt, 
abzuwehren. Wenn wir felbft das Hbfurde annehmen, daß dies 
gefcheben könnte, dann würden diefen Leuten febr bald die 
Hugen übergeben in der Erkenntnis, daß in dem allgemeinen 
Dorren fie die erften Opfer fein müffen. Was wir die Kunft» 
bewegung nennen, ift zu tiefft der Husdruck der erwachenden 
produktiven Kräfte, das Ringen nach Veredelung der Hrbeits* 
würde und folglich auch der Menfcbenwürde. Es ift der läcber» 
liehe Einwand erhoben worden, daß die Kunftbewegung doch 
nur für einige Leute da fei, für folcbe, die fie bezahlen können. 
Diefer einfeitigen und befebränkten Hnfchauung entgeht vollends 
der tiefe und bedeutfame Hintergrund einer folchen Arbeit, näm 
lich das mit diefer Bewegung in Berührung ftebende arbeitende 
Volk felbft, das an der Hebung und Veredelung der Arbeit wirt» 
fcbaftlicb und fittlicb beteiligt ift. Die moderne Kunftbewegung 
gebt aus dem Volke felbft hervor. Denn, was fie bervorbringt, 
wird von der Arbeit des Volkes bervorgebraebt, und es ift nicht 
gleichgültig, ob die arbeitende Menfchbeit in Erniedrigung, in fith 
lieber Verwabrlofung und im Verfall des Könnens dabinlebt, oder 
ob es feine fruchtbaren Anlagen und Kräfte entwickeln und ge 
brauchen lernt an edler Arbeit, die eine wirtfcbaftlicbe, gewerb 
liche und menfebliebe Hebung zur Folge bat. Hier liegt eine 
Aufgabe vor, an der niht nur das getarnte arbeitende Volk, die 
gefamte Produktion und die Künftler, fondern auch das Publi 
kum, das kaufende Volk und der Vermittler zwifhen beiden, 
der Händler, beteiligt find. Wir können nur von der Hebung 
des allgemeinen Niveaus eine Stärkung der Leiftung und eine 
Steigerung des wirtfcbaftlicben Erfolges erwarten. Dagegen 
müffen wir bei einer künftlihen Niederbaltung der Entwicklungs 
kraft, wenn dies überhaupt möglich ift, die verbängnisvollften 
Folgen vorausfehen, die fich alsbald in dem Unterliegen gegen 
die vorwärtsftrebende auswärtige Konkurrenz, in einem Ver 
tagen der inneren Tüchtigkeit des Volkes und mithin in einem 
allgemeinen wirtfcbaftlicben und politifhenNiedergang des ganzen 
Volkes geltend madoen müffen. Eine Aktion, die auf folcbe 
Ziele zufteuert, ift im Grunde genommen ein Anfcblag auf die 
lebendigften Intereffen des Volkes, die fich mit dem Begriff der 
Kunftbewegung identifizieren. Niht in dem Zurück, in der Ver 
minderung der Qualität, ift das Heil zu fuhen, fondern in der 
Höberftellung der Arbeit, in der Forderung der Arbeitsfreude 
und Arbeitstühtigkeit, in der Entfaltung fruhtbarer Anlagen 
und Kräfte, in der Betonung der Qualität und der foliden Arbeit, 
die das Gedeihen der Volkswirtfhaft als einer wahren Wirtfhaft 
des Volkes fiebern. Für die wirtfhaftlih bedrängten einzelnen 
Fabrikationen und Gewerbegruppen gibt es keine andere Ret 
tung als die Selbftbilfe auf Grundlage der ausgefprohen fitt- 
lihen Kräfte. Der Weg ift Steigerung der Qualität, Heranziehung 
der beften Kräfte tühtiger Künftler und tüchtiger Arbeiter, ein 
wandfreier Materialien, Erhöhung der Arbeitswürde. Und wenn 
dies alles nah beftem Können gefheben ift, dann wird fich erft 
die Frage entfheiden laffen, ob und inwieweit die bedrohten 
Wirtfhaftsgebiete Exiftenzberehtigung haben oder niht. Soviel 
aber läßt fich beute fhon fagen, daß eine Produktion, die niht 
diefe Ziele im Auge bat, keine Exiftenzberehtigung befit^t. Es 
ift eine Phrafe, zu erklären, daß eine Produktion gehalten werden 
müffe, weil fie Brot gibt. Eine Produktion, die mit unrehten 
Mitteln, mit unmoralifhen Grundlagen und mit dem Geift der 
Rückftändigkeit und der Unterdrückung gehalten werden muß, 
gibt in Wahrheit dem Arbeitenden kein Brot, fie gibt im beften 
Falle Hungerlöbne und fordert dafür die Verminderung des 
Könnens, den Verziht auf die Entwicklung tühtiger Kräfte, die 
Verfhledüerung des Weltantlitjes durh Shunderzeugniffe und 
ähnliche, durhaus verdammenswerte Shädigungen des gefamten 
wirtfhaftlihen Körpers. Siher ift, daß eine auf gute Leiftung be 
gründete Arbeit, fich in der kommenden Entwicklung der Dinge 
wirtfhaftlid) behaupten wird. Soll aber dem Guten alle Ent- 
wicklungsmöglihkeit geboten fein, dann müffen auh jene be- 
fhwerdeführenden Intereffenten zunähft Kritik im eigenen 
Lager üben und feftftellen, was fie noh tun müffen, um den 
großen und fhweren Pflihten, die nah gefunder moralifher 
Auffaffung mit dem Reht der Produktion verbunden find, Ge 
nüge zu tun. L. 
STRHSSENHRCHITEKTUR UND REKLHME 
n der UMSCHAU zieht Dr. H. HOEGG gegen die gefhmacklofe 
Verwilderung der Shilder- und Reklametafeln zu Felde. 
Seine treffenden Ausführungen gipfeln in der Forderung, 
daß Arhitekten, Gefetjgeber und Publikum fich zum Kampf 
gegen unanftändige Reklame vereinigen müffen. Die Hauptauf 
gabe liegt beim Arhitekten, dem Shöpfer des Straßenbildes, 
der auh moralifh dafür verantwortlih ift. □ 
Hoegg wünfht Verordnungen diefer Art: □ 
1. Firmenfhilder und Reklamefhriften jeder Art an Gebäuden 
dürfen nur mit Genehmigung des verantwortlihen Arhitekten, 
oder falls diefer niht mehr zu erreihen ift, mit Genehmigung eines 
baukünftlerifhen Mitarbeiters der Baupolizei angebraht werden. 
2. Firmenfhilder und Reklamefhriften dürfen niht mehr als 
ein Zehntel der Gebäudefront bedecken, auf der fie angebraht find. 
3. Firmenfhilder und Reklamefhriften an kunftgefhihtlih 
wihtigen Gebäuden unterliegen der Einwilligung des Konfervators. 
4. Außerhalb des Weihbildes der Stadt, alfo wo die fogenannte 
Landfhaft anfängt, find Firmenfhilder und Reklamefhriften 
jeder Art überhaupt verboten. □ 
Endlih könnte auh vom Publikum nahgerade Hilfe erwartet 
werden. Man follte annehmen, daß die Zeit nabe fei, da es 
durh volkstümlihe Vorträge, Kunfterziebungstage, Kunftwart- 
Publikationen, Ausftellungen und fonftige Bemühungen jener 
Idealiften und Entbufiaften, die der Welt die Shönbeit erhalten 
wollen, aufgerüttelt, fich felbft auh an dem Kampfe beteiligen 
werde, den man doh eigentlih ihm, dem lieben Publikum 
zuliebe, führt. □ 
Die Zeitungen wußten unlängft davon zu erzählen, wie die 
Marburger Studenten eine das Bild der Stadt fhändende Reklame 
dadurh wieder rafh aus der Welt fhafften, daß fie das be 
treffende Gefhäft boykottierten. Diefes berzerfrifhende Vor 
geben fheint mir ein Fingerzeig dafür zu fein, in welher Art 
auh das Publikum in dem Kampf gegen das Reklamefhilder« 
unwefen wirkfam eingreifen könnte. □ 
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