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Volltext: Monatszeitschrift VIII (1905 / Heft 5 und 6)

gedanken und strömender Künstlerphantasie entsprungen ist: Jean Lamours 
Triumphgitter um die Place Stanislas in Nancy. Dieses Monument ist so 
bedeutend nicht nur seines Umfanges und der meisterhaften Arbeit wegen, 
sondern weil es wie kein zweites den französischen Geist vollkommen 
ausdrückt. Um den großartigen Triumphbogen- und Gitterkomplex, um die 
übermächtigen Leitlinien der Architektur spielt eine Fülle geistreicher Formen, 
züngeln die Flämmchen des Muschel- und Palmwerkes, und zwischendurch 
rauscht von dem figurenreichen Brunnen das Wasser hemieder: ein könig- 
liches Werk. 
Der Klassizismus der Epoche Ludwigs XVI. setzte verhältnismäßig spät 
ein, um 1770. Da er sich enger an antike Formen schloß, die meist dem 
Marmor angehören, so trat auch im Gitter ein fester Rhythmus wieder- 
kehrender Motive und eine verstärkte Wucht und Dichtigkeit in den Zier- 
formen ein. Vor allem aber bedeutete dieser Klassizismus die eindringlichste 
Hervorkehrung des architektonischen Aufbaues, wo nun, wie an dem großen 
Portal vor dem Pariser Justizpalast, mit der Darstellung der Pilaster- und 
Gebälkordnung schwerer Ernst gemacht wurde. Wenigstens besaß man Stil- 
gefühl genug, die Umbildung des klassischen Details in einem ihr ganz fremden 
Stoff glücklich zu vollbringen; ein Stilgefühl, welches überhaupt den kunst- 
gewerblichen Leistungen dieses letzten selbständigen Stiles eignet und sie 
in ihrer Materialschönheit und Klarheit so erfreulich erscheinen läßt. 
Deutschland begann erst spät nachzuholen, was es in der monumentalen 
Gitterkunst versäumt hatte. Es lag bis weit in den Anfang des XVIII. Jahr- 
hunderts gleichsam im Winterschlaf; verarmt, heruntergekommen durch die 
entsetzlichen Kriege, hatte es im XVII. Jahrhundert kein Bedürfnis nach 
großen Kunstleistungen. Für die Brunnen- und Grabmalgitter genügte das 
Partikelprinzip mit der kalligraphischen Füllung; und merkwürdig ist, wie 
man sich bei umfangreicheren Aufgaben zu helfen suchte. Bei den Abschluß- 
gittern, die, quer durch den ganzen Kirchenraum gezogen, seit etwa 1640 
aufkamen, verfiel man auf die barocke Idee, ein perspektivisch vertieftes 
Baugerüst mit tonnenüberwölbten Bogengängen vorzutäuschen. Die Orna- 
mentformen blieben dabei die alten Spiralen und Durchsteckspiele. Diese 
fragwürdige Erfindung, deren Wirkung um so peinlicher wird, je besser 
die Augentäuschung gelungen ist, verrät vollkommen den Mangel an wahrem 
Gefühl für das Statische; den Franzosen ist so etwas nie eingefallen, sie 
bleiben mit ihren Bauprojektionen stets in der Fläche. 
Erst im Laufe des XVIII. Jahrhunderts kam für Deutschland die Zeit 
der großen Baumeister, die mit gewaltiger repräsentierender Fülle den Fürsten 
Residenzen errichteten, und in ihrem Gefolge zog auch die französische 
Tradition des Gitters ein. Nun aber war es, als ob die deutsche Erfindungs- 
kraft erst aus schwerer Erstarrung erweckt wäre, und mit ungeahnter 
Leidenschaft und Schnelligkeit eignete sie sich das Wesen des französischen 
Rokoko an, das sie erst in seiner ganzen Elastizität erkannte und mit erstaun- 
licher Phantasie bis in alle Konsequenzen hinein verfolgte.
	        
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