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JAPANISCHE ARCHITEKTUR 51b VON
HARTWIG FISCHEL 5h
der Erschließung Japans für die europäische
Forschung dieses merkwürdige Land unserem
Verständnis näher gebracht haben, nimmt den
breitesten Raum die Schilderung von Land
und Leuten, von Sitten und Gebräuchen, von
der historischen Entwicklung ein; es ist noch
nicht so lange her, daß Franzosen und
Engländer es wagten, der Kunst Japans eine
besondere Betrachtung zu widmen; die leicht
beweglichen Werke der Kunstindustrie und
des Farbenholzschnittes haben ihre anregende und fördernde Wirkung aus-
geübt, ohne daß das Verständnis für ihren Wert viel über die feinfühligeren
Künstlerkreise und jene der Kunstfreunde hinausgedrungen oder hinaus-
getragen worden wäre. _
So ist es erklärlich, daß ein so merkwürdiges und interessantes Gebiet
wie das der japanischen Architektur relativ geringe Beachtung gefunden
hat. Die wenigen eingehenderen und wichtigen Vorarbeiten sind bald auf-
gezählt:
Da ist]. Conders Bericht in den „Transactions of the Royal Institute
of British Architects 1878, 1886, 1887", E. S. Morses „Japanese homes and
surroundings, London" 1886, F. Balzers „Das japanische Haus, Berlin 1903".
Wertvolle kleinere Darstellungen sind in Zeitschriften und Handbüchern
zerstreut.
Die offizielle Kunstgeschichte pflegt von diesem Kapitel keine große
Notiz zu nehmen, als ob ihm keinerlei Bedeutung für die europäischen Kunst-
bestrebungen beizumessen wäre. Und doch läßt sich leicht dartun, daß von sehr
verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet, nicht bald ein lehrreicheres
Gebiet wie dieses dem modernen Kunststudium erschlossen werden könnte.
Überblicken wir das Kulturbild, welches uns diese Seite japanischer
Tätigkeit eröffnet, so werden wir den ungemein seltenen Fall zu konstatieren
haben, daß sich eine in sehr hohes Altertum zurückreichende Bautradition
bis auf den heutigen Tag fast unverändert erhalten hat, die alle Aufgaben
der religiösen wie der profanen, der aristokratischen, wie der bürgerlichen
Raumbedürfnisse in einheitlichem und streng geregeltem, dabei künstlerisch
vornehmem Sinn gelöst hat. Wir finden in ihr den vollkommenen und oft
sehr hoch stehenden Ausdruck eines eigenartigen Volksgeistes, der den
Äußerungen einer lebhaften, oft krausen Phantasie ebenso Spielraum gibt,
wie er die rein praktischen Forderungen des täglichen Lebens befriedigt.
Daß diese Forderungen und der Charakter jener Phantasie einen von
europäischen Gewohnheiten und Anschauungen abweichenden Grundzug