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Volltext: Monatszeitschrift VIII (1905 / Heft 2)

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JOHN SINGER SARGENT UND SEINE 
KUNST 50- VON P. G. KONODY-LONDON 50' 
IE Werke der großen Bildnismaler aller Zeiten ent- 
halten für die Nachwelt eine Botschaft von 
bedeutendem, tiefem Interesse. Sie erzählen 
uns nicht nur allerhand Intimes von der Persön- 
lichkeit des Dargestellten, sie geben uns nicht 
nur Einblick in den Charakter des Künstlers, 
sondern - und darin liegt vielleicht ihr Haupt- 
wert _- sie bilden in ihrer Gesamtheit einen 
getreuen Spiegel einer ganzen kulturgeschicht- 
lichen Epoche mit allen ihren Tugenden und 
Lastern, Moden und Geschmackswendungen. 
Ein Blick auf eine solche Bilderreihe sagt uns mehr als all die großen 
Folianten zeitgenössischer Literatur. 
Das steife Zeremoniell des spanischen Hofes der Zeit Philipps IV., der 
düstere Ernst, den nur der Anblick und der boshafte Witz häßlicher, 
verwachsener Zwerge zerstreuen konnte, spricht aus den Bildern des 
Velasquez, vlämische Üppigkeit und Prunkliebe aus den Bildnissen 
Rubens", die Verweichlicbung und stutzerhafte Eleganz der englischen 
Höflinge vor der Puritanerrevolution aus jenen des „Ritters" Anton Van 
Dyck. 
Besser noch läßt sich diese Beobachtung an den Werken der späteren 
englischen Bildnismaler anstellen. So drückt Gainsborough mit raffinierter 
Feinheit das ganze Wesen, die ganze Bildung des späteren XVIII. Jahr- 
hunderts aus, Peter Lely die lockere Moral und das zügellose Treiben 
des Hofes des vergnügungssüchtigen Königs Karl Il., Sir Thomas Lawrence, 
besonders in seinen späteren Werken, die mit dem Reifrock verbundene 
Zimperlichkeit der beginnenden Biedermeierzeit. Die Beispiele ließen sich 
in langer Reihe in der Kunst aller Länder und Epochen durchführen; hier 
mögen diese wenigen Andeutungen genügen. 
Seit Lawrence endet die glänzende Reihe englischer Bildnismaler, die 
sich mehr oder weniger direkt von Van Dyck ableiten läßt, denn Hogarth 
war ein isoliertes, rein nationales Phänomen. Nach Lawrence folgt eine 
Epoche langweiliger akademischer Malerei, in welcher Asphalt unter den 
Farben die Hauptrolle spielt und das Bildnis auf das Niveau der bemalten 
Photographie sinkt. Dann kommt die präraphaelitische Bewegung, welche 
allerdings die Palette klärt und auffrischt, aber nach höheren, idealeren 
Zielen strebt, als „bloße" Bildnismalerei. Es folgt eine ganze Schar 
technisch tüchtiger, akademisch erzogener Porträtmaler, welche sich damit 
befassen, die Topographie der Gesichtszüge möglichst getreu wiederzugeben. 
Wie durch Zufall erscheint hie und da ein Meisterwerk, wie Herkomers 
„Dame in Weiß" (Miß Grant); im großen ganzen aber wäre der Verlust 
 
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