einzudringen versteht, hat zu dem Prachtwerk eine für die Kunstgeschichte
wertvolle Studie über des Meisters Kunst beigetragen. Wie sehr sie
ihn versteht, beweist die gedrungene Kürze ihrer Skizze; die Bilder
mögen für sich selbst reden, und wahrlich, sie reden mit so mächtiger
Stimme, daß selbst die kurze Einführung -- ein literarisches Meisterwerk -
überflüssig erscheint. Was für eine Fundgrube für den psychologischen
Forscher, für den Kulturhistoriker der Zukunft! Das Ende des XIX. Jahr-
hunderts, vielleicht des letzten jahrhunderts der markierten Rassen-
unterschiede, welche durch internationalen Verkehr und Blutmischung rasch
verschwinden, spiegelt sich treu in diesen Bildnissen.
Unverständige haben Sargent mit Unrecht vorgeworfen, daß seine
Auffassungsweise manchmal jener des Karikaturisten ähnelt. Daß gewisse,
ihm unsympathische Erscheinungen des modernen Lebens von ihm mit
feiner Ironie behandelt werden, mag wohl sein. Niemals aber arten seine
Charakterstudien in Karikatur aus. Sargent ist, wenn ich mich des von
einem französischen Kritiker erfundenen Ausdruckes bedienen darf, durch und
durch Characteriste. Das will eben sagen, daß er sich bemüht, das rein
Typische und Charakteristische seiner Modelle aus der Gesamtheit der
Eindrücke loszulösen und auf der Leinwand auf Kosten der weniger
bedeutenden Züge hervorzuheben. Ebenso verfährt der Karikaturist, nur
kommt bei ihm das Element der Übertreibung dazu und Übertreibung
vermeidet Sargent sorgfältig; höchstens akzentuiert er ein wenig.
Der boshafte, fast grausame Realismus, mit welchem Sargent gewisse
Typen behandelt, läßt sich schwer illustrieren, da es nötig wäre, die
betreffenden Bildnisse von lebenden Persönlichkeiten mit Namen zu
bezeichnen, und der Erklärung halber ihr ganzes Privatleben und ihre
ganze Geschichte der Öffentlichkeit preiszugeben. In der Geschichte der
Malerei gibt es wohl keine beißendere Satire als Sargents Darstellung eines
bekannten jüdischen Finanziers, eine kurze Zusammenfassung sämtlicher
Rasseneigenschaften, die nicht nur in den Gesichtszügen. sondern in der
Haltung und in den Händen ausgedrückt sind - in der Linken, deren
Daumen in die Westentasche gestemmt ist, in der Rechten, mit der
Havannazigarre zwischen Zeige- und Mittelfinger und mit nach oben
gerichtetem, zurückgebogenem Daumen, einer Hand, die fast zu sprechen
scheint. Selbst der Pudel in der linken Ecke, von dem man nur die
blitzenden Lichter der Schnauze und des Auges und eine feuchte, vibrierende
Zunge sieht, ist nicht ohne Bedeutung. Dabei ist der Ausdruck des
Modelles nicht ohne Bonhomie und Humor. Man fühlt, daß der Mann
großmütiger Regungen fähig ist, daß unter Umständen seine Freigebigkeit
und Gastfreundschaft eben so großartigen Zuges sein mögen, als seine
Fähigkeit, Reichtum anzuhäufen.
Ebenso charakteristisch ist das Doppelbildnis der beiden Töchter des
Finanziers, beide in Balltoilette, welche die üppigen Formen der orien-
talischen Schönheiten vorteilhaft zur Geltung treten läßt. Von den vier