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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

Modernes Geschmeide aus der 
Wiener Werkstätte. 
Halsschmuck. Entwurf Prof. 
Kolo Moser. Ausführung in 
Gold; die Schließe aus Silber, 
mit Perlschale. 
Vergleiche Text über Gold- 
schmiedekunst. Heft 20, Jg. I, 
Seite 343 und Heft 1, Jg. II, 
Seite 8. 
GOLDSCHMIEDEKUNST.* 
VON ALFRED LICHTWARK. 
Die Auslage eines vornehmen Goldschmiedes verrät mehr 
von dem Zustand unseres Geschmacks und gibt eine zu^ 
treffendere Vorstellung von der wirklich vorhandenen Ge^ 
sinnung und den wirklichen Bedürfnissen der Gesellschaft 
und des ausführenden Technikers, der in früherer Zeit 
Künstler war, als irgend eine Weltausstellung. 
Da alle Goldschmiedsladen der Großstädte nach demselben 
Schema angelegt sind, muß etwas wie der Ausdruck des 
Gesetzes vorliegen. 
Sie haben durchweg zwei Abteilungen. Oben, im besten 
Licht und in bequemster, der durchschnittlichen Augenhöhe 
angepaßter Sichtigkeit, breiten sich auf weißem oder rosigem 
Sammet die Perlketten, Diamantsterne und Rubinringe aus. 
Unten liegen zwischen silbernen Zigarettendosen, Streichholz^ 
schachteln, Zigarrenabschneidern und anderen nützlichen 
Dingen — man muß sich bücken, sie zu sehen allerlei 
Gürtelspangen und Broschen aus vergoldetem oder oxydiertem 
Silber mit Steinen, deren Namen niemand kennt und die 
auch Glasflüsse sein könnten. 
Die Schmuckgedanken dieser Ware erinnern an Blumen, 
an Knochengelenke oder verschiedenartige Naturformen, 
die etwas so Ungreifbares an sich haben wie tanzende Licht- 
flecke auf bewegtem Wasser. 
Oben wohnt der wirkliche Geschmack der vornehmen Welt. 
Unten liegt die neue Kunst, die man Kindern und Bonnen 
schenkt, auch wohl zur Tennis- oder Picknicktoilette tragt. 
Oben herrschet die solide Technik der Goldschmiedswer 
statt und das edelste Material, unten die billige neue Kunst 
stammt aus Fabriken und bekommt weder echte Diamanten 
und Rubinen noch Smaragde oder Saphire zu kosten, 
kaum einmal Gold. Oben brüstet sich die Überlieferung 
im guten und bösen Sinn, unten schimmert ein Abg anz 
der neuen Formen und Kunstmittel, die sich einige fuhren e 
Künstler ausgedacht haben. 
* Siehe „Der Deutsche der Zukunft“, Seite 59- 
Dies alles kann man feststellen, wenn man im Gespräch 
vorbeigeht, zögernden Schrittes einen Bogen nach dem Fenster 
schlägt und ohne Gespräch oder Gang zu unterbrechen, 
den Blick einen Husch auf die Suche schickt. 
Wer stehen bleibt — und es lohnt sich immer — kann an 
der obersten Auslage einVerzeichnis der Gedanken, Techniken 
und Materialien aufnehmen, die der heutigen Goldschmiede 
werkstatt eigen sind. Mit dem Umfang der künstlerischen 
oder technischen Gedanken unserer Goldschmiede können 
wir keinen Staat machen. An ornamentalen Gedanken gibt 
es den Stern, den Halbmond, den Blumenzweig, den Schmetter 
ling, die Libelle, zeitweilig auch die Spinne, man weiß nicht, 
wie ein Goldschmied auf dies abstoßende Tier verfallen ist, 
vielleicht war etwas Aberglaube dabei, da der Schmuck ja 
abends getragen wird. Dazu natürlich die einfachen Rei 
hungen der Halsbänder und Perlschnüre und einige ganz 
unorganische oder völlig unverständliche Schnörkelformen. 
Ich glaube, ich habe nichts vergessen. Diademe, Kämme, 
Armbänder pflegen mit noch geringerem Aufwand an Er 
findung hergestellt zu werden. 
Und die Gestalten der Blätter, Blüten, Schmetterlinge und 
Libellen sind ohne jegliche Anlehnung an eine erkennbare 
Naturform gebildet. Sie stellen das Blatt, die Blüte, den 
Schmetterling an sich dar. 
In der Silhouette, den Umrissen, als Fleck und Linie sind 
diese Formen durchweg sehr wenig gefühlt. Es scheint, als 
ob man nach Möglichkeit vermeiden will, irgend etwas 
außer dem Material selbst wirken zu lassen und sich vor 
jedem Element Kunst ängstlich hütet. 
Dies Material besteht nun fast ausschließlich aus Brillanten 
(die schon fast ordinär wirken) und Perlen. Farbige Edel 
steine wie Smaragd, Rubin, Saphir kommen seltener vor 
und man nutzt ihre Eigenschaften fast niemals aus. In den 
letzten Jahren begegnet man namentlich in Ringen wieder 
den rundgeschliffenen farbigen Edelsteinen. Zunächst sind 
sie wohl aus praktischen Rücksichten glatt beliebt. Aber an 
diesen wenigen Versuchen wird man lernen, daß der farbige 
Edelstein seine besten Eigenschaften aufgibt, wenn man ihn 
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