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Nr. 6 
Internationale S a m m 1 e r - Z e i t u n g 
Seite 81 
brandt (großenteils nach Kassel und Braunschweig 
zurückgeholt), sieben Rubens (teilweise ebenfalls 
wieder in Kassel und Braunschweig; darunter „der 
Sieger“ in Kassel, den Napoleon so sehr liebte, daß er 
ihn eine zeitlang in seinem Arbeitszimmer behielt), 
drei Jakob Ruisdael, zwei Steen (der „Heirats 
kontrakt“ aus Braunschweig und das „Bohnenfest“ 
aus Kassel), acht Tcniers, fünf Ter bürg (unter anderem 
die Kasseler Lautenspielerin), zwei Tizian (der eine 
offenbar die jetzt, glaube ich, dem Veronese zuge 
schriebene Kleopatra in Kassel), zwei Veronese, 
vierundzwanzig Wondermanns usw. 
Unter den Zeichnungen wird ein heiliger Sebastian 
und eine Kreuzigung dem Altorfer zugeschrieben, ein 
Petrusmartirium und ein heiliger Stephanus dem Cra- 
nach, ein Proportionenblatt von 1512 dem Dürer. 
Für die schwäbische Malerei wäre es wichtig, wenn ein 
heiliger Hieronymus mit dem Monogramm C. W. 
wirklich von dem bekannten Monogrammisten her- 
rühren sollte. 
Das ist nun nur ein ganz kleiner Teil der Kunst 
beute der großen Armee. Wir haben ja bekanntlich 
1870 den Pendulendiebstahl im großen betrieben. 
Dabei ist es lustig, wie eine Lüge auf ihren Urheber 
zurückprallt. Der Pendulendiebstahl läßt sich als franzö 
sische Erfindung geradezu ethnologisch nachweisen. 
Die Pendule bildet den von dem kleinen Manne in 
Frankreich heißersehnten Schlußstein der Zimmer 
einrichtung; als Aufsatz auf dem Kaminbord. Wir haben 
kein Kamin, am wenigstens unsere kleinen Leute, und 
brauchen diesen Schmuck nicht. Der unersättliche 
Hunger nach Pendulen ist also aus der Seele des Fran 
zosen heraus erklärlich, für unsere Leute wäre er ganz 
ungereimt. Der Pendulenraub ist ein 'ins Deutsche 
nicht übersetzbarer Gallizismus. 
Auch in diesem Krieg haben wir in Belgien Zahlloses 
an Einrichtungs- und Kunstgegenständen zusammen 
geraubt. Vorne an „Adam und Eva“ von dem Genter 
Altar. Die nach wie vor seelenfroh und ruhigen Gemütes 
im Brüsseler Museum hängen. Aber soweit wie Frank 
reich haben wir Barbaren es an tätlicher Kunstfreund 
schaft doch nicht gebracht. Hier ist uns ein unerreich 
bares Vorbild hingestellt. Hänge dich auf, Figaro! 
Frkf. Z. 
Das Erdbeben und die alten Kunstwerke in Italien. 
(Schluß*.) 
In Sora ist neben der berühmten barocken Wallfahrts 
kirche der heil. Restituta auch der dem von Casamari 
nachgebildete Kreuzgang von San Domenico gründlich 
zerstört. Das Schloß der Piccolomini in Balsorano 
ist gänzlich verschwunden, selbst die Fundamente sind 
gespalten. Eine, unbewohnbahre Kulissenstadt ist Veroli 
geworden, das zwar keine hervorragenden Bauten besaß, 
aber in seiner Gesamtheit pin vollkommenes, unberührtes 
mittelalterliches Architekturbild von höchstem malerischen 
Keiz bot. Glücklicherweise wurde der 1572 Herber über 
geführte Schatz der Abtei von Casamari gerettet. Er 
besteht aus prachtvollen Stücken, wie namentlich das Trag- 
kreuz aus getriebenem, auf Holz genietetem Silberblech, das 
silberne Kopfreliquiar, ein Armreliquiar und zwei Reliquien 
kästchen, alle um 1290 im Auftrag von Abt Giovanni Bove 
angefertigt. Das Schloß auf dem Monte San Giovanni 
Campano droht auf die Stadt herabzustürzen. 
In Fcrentino, wo schon 1350 ein Erdbeben die alte 
Akropolis hcrabstürzte, hat die neue tellurisclie Erschütterung 
den auf deren Fundamenten errichteten Präfekturpalast rein 
wegrasiört. Auch die Porta sanguinaria, die dem altrömischen, 
aus den Zeiten der Republik stammenden Mauerring ange 
hört, ist dem Einsturz nahe. Unter dem zum Teil ein 
gefallenen erzbischöflichen Palast wurden die ihm als Fundament 
dienenden großartigen Reste einer Villa des aus der Geschichte 
des zweiten Triumvirates bekannten Konsuls Pansa bloß 
gelegt. InBoville Ernica stürzte die Decke des Kirchleins 
San Pietro I-Iispano ein, wo einige Mosaikenreste des aus 
gehenden Ducente (darunter ein angebliches Fragment der 
„Navicella“ Giottos) aufbewahrt wurden, und schwere Risse 
weist auch der edle bramanteske Bau des Palazzo Aliprandi auf. 
In Anagni hat sich die Fassade der Kathedrale von dem 
übrigen Baukörper losgelöst und mußte gestützt werden; die 
kostbaren Fresken des 12. Jahrhunderts in der Krypta blieben 
hingegen ohne nennenswerten Schaden. 
* Siehe Nr. 5 der „Internationalen Sammler-Zeitung“. 
In Aquila mußte die Fassade der Kirche von Santa 
Maria, di Collemaggio wegen einer zweifachen Senkung gestützt 
werden. In Albe Fucense ist die Kirche von S. Nicola 
volkominen zerstört, und von San Pietro, einem wunderbaren 
Kleinod der Kosmatenkunst, sind Apsis und Dach herunter 
gefallen und das ganze Innere ist dem Einstürze nahe. 
In Celano ist das Schloß schwer beschädigt, vor allem 
das Innere und der Säulenhof. Die Barockkirche von San 
Francesco, sowie die Kirche del Carmine sind bis auf einen 
Teil der Fassade vollkommen zusammengebrochen. In der 
Kollegiatkirche von Celano, deren mittelalterliche Fassade 
teilweise zerstört wurde, kamen dagegen durch Einsturz der 
barocken Stuckdecken die alten Wölbungen mit Fres 
ken des Trecento zum Vorschein. 
Die Kathedrale von Sulmona zeigt in der Apsis einen 
breiten Riß. Die Fassaden der Annunziata- und der Grabes 
kirche haben sich verschoben, in San Francesco hängt eine 
Langscite nach außen über. Tn San Benedetto del Marsi ist 
San Francesco zusammengestürzt. In Avezzano ist alles 
zerstört. Vom Schloß stehen bloß das Tor und die Hälfte 
der Außenmauern aufrecht. Die Bestandteile des schönen 
Portales von San Nicola sind bereits wieder aufgefunden 
worden. Nur leichte Risse trug die berühmte Abtei San 
Clemente a Casaria in der Provinz Teramo davon. 
Dies sind die wichtigsten Daten in dem traurigen 
Inventar der durch die Katastrophe des 13. Januar ver 
nichteten Kunstgüter. Leider erhalten wohl die meisten von 
dem unermeßlichen Reichtum der Abruzzen an Kunstschätzen 
erst nach deren teilweiser Zerstörung Kunde, denn die Kunst 
handbücher schweigen sich darüber aus, und der Italicn- 
reisende läßt sie seitwärts liegen. Diese Denkmäler aber 
erwecken uns eine Zuversicht: die gesunde, prächtige Menschen 
rasse, die nach so vielen Katastrophen stets von neuem ihre 
Kirchen, ihre Burgen und Städte wieder aufbaute, wird auch 
den letzten Schlag zu überwinden wissen und über den öden 
Trümmerhaufen neueWerte, ästhetische und materielle, schaffen.
	        
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