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Objekt: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

verändern, fondern es wird direkt auf den Charakter der Gene-- 
ration einwirken, denn auch die Erziehung zur anftändigen Ge= 
ftaltung der Räume, in denen wir wohnen, kann im Grunde nur 
eine Charaktererziehung fein, die die prätentiöfen und parvenü= 
haften Neigungen, die zu der heutigen Zimmerausftattung ge= 
führt haben, unterdrückt. □ 
So führt die Verfolgung der eigentlichen Grundlage, auf denen 
die neue kunftgewerbliche Bewegung aufgebaut ift, von felbft zu 
einer Erweiterung, zur kulturellen Bedeutung des Kunftgewerbes. 
Hber auch auf dem eigentlich künftlerifchen Gebiete fehen wir 
bereits, wie die anfänglich fcbmal gefteckten Grenzen des Kunft» 
gewerbes an fich überfchritten werden. Von der eigentlichen 
kunftgewerblicben Idee, der gefchmackvollen Geftaltung der 
Handwerkserzeugniffe ausgehend, ift das Kunftgewerbe bereits 
zur Umgeftalterin unterer Wohnung geworden. Es ift im Begriffe, 
eine neue Wohnungskultur heraufzuführen. In diefer Richtung 
liegt heute das eigentliche Ziel feines Wirkens. Von der Ge= 
ftaltung des Innenraums aus bis zur Geftaltung des Wohnhaufes, 
in welchem der Innenraum auftritt, ift aber nur ein Schritt. Und 
tatfächlich läßt fich heute fchon beobachten, wie der Hausbau, 
zunäcbft der Bau des kleineren Landhaufes, von dem vom Kunft» 
gewerbe ausgehenden Gedanken beeinflußt wird. Die eben an= 
getretene neue Bewegung im Hausbau kann im ganzen dabin 
definiert werden, daß an die Stelle der aufgeputjten, mit aller« 
band hiftorifchem Formenkram überladenen Villa ein einfaches 
Haus tritt, das fich an die ländlichen Baumotive anfcbließt und 
nach logifcb fachlichen Grundfätjen aufgebaut ift. Diefer Wecbfel 
in der baulichen Gefinnung ift aber derfelbe Wecbfel, der aus 
dem alten, mit biftorifcben Formen arbeitenden Kunftgewerbe 
zum neuen auf fachliche Grundlage geftellten Kunftgewerbe ge« 
führt hat. Die wenn auch unbewußte Beeinfluffung vom Kunft« 
gewerbe aus ift augenfcbeinlicb. Und die einfachen Gedanken« 
gänge des Kunftgewerbes find im Begriffe, ficb noch weiter in 
die Architektur hinein zu erftrecken. Die veränderte Strömung 
im Landbausbau ift nur der Anfang gewiffer vereinfachender 
Tendenzen in der Architektur überhaupt. Bei der enormen 
Wichtigkeit, die der Architektur im Kulturbilde einer Zeit zu« 
kommt, kann man fagen, daß erft dann, wenn die Grundlage 
des Kunftgewerbes auf das ganze große Gebiet der privaten 
und öffentlichen Baukunft ausgedehnt find, die wahre Miffion des 
Kunftgewerbes erfüllt fein wird. □ 
Daß die mit fo großer Energie einfetjende kunftgewerbliche 
Bewegung auch auf den Gebieten der Malerei und Skulptur 
Parallelen findet, fei hier nur angedeutet. In der Malerei ift das 
neuerdings wieder auftauchende Beftreben zu nennen, im Sinne 
des alten ftrengen Wandgemäldes zu komponieren. Wir treffen 
hier auf einen ftark ausgefprochenen Zug unterer Zeit, der in 
gleicher Weife in der Plakatkunft, in den grapbifcben Künften, 
in der Illuftration wie in einem Teile der Malerei zu bemerken 
ift. Und in der Skulptur läßt fich erfreulicherweife in neuerer 
Zeit ebenfalls ein Zug zum ftraffen Stilifieren, zum Lapidaren 
beobachten, der die bisherige Genrerichtung und Tbeaterpofe ver« 
läßt. Das erfreulichfte Zeugnis dafür ift vielleicht das neue 
Bismarckdenkmal in Hamburg. □ 
Zieht fo die neue Bewegung, die fich zuerft als rein kunftge« 
werbliche Bewegung zu erkennen gab, bereits in allen Künften 
ihre Kreife, fo daß man heute fchon fagen kann, daß fie zu einer 
allgemeinen Kunftbewegung geworden ift, fo ift auf der anderen 
Seite doch nicht zu verkennen, daß die Bewegung bisher eine 
faft ausfchließtich intellektuelle war, und daß fie fich im befonderen 
im Wirtfchaftsleben unterer Zeit noch nicht wefentlich bemerkbar 
macht. Die Bewegung ift von intellektuellen Kreifen ausgegangen 
und bisher von ihnen getragen worden, und ihre Fortpflanzung 
bat von Intellekt zu Intellekt ftattgefunden. Auf einem Gebiete, 
das nicht nur künftlerifch, fondern auch gewerblich ift, wird es 
aber vor allem darauf ankommen, daß die neue Bewegung auch 
die gehörigen wirtfcbaftlicben Geleite findet. Hier beginnen die 
Schwierigkeiten. Sie haben fich fcbeinbar gerade neuerdings 
vermehrt, wo die materiellen Vertreter des Kunftgewerbes, das 
heißt die Fabrikanten und Händler, laute Proteftkundgebungen 
gegen die neue Bewegung und ihre Träger, gegen die Dresdener 
Kunftgewerbeausftellung und gegen die Kunftgewerbefchulen von 
fich gegeben haben. Bekanntlich ift eine Demonftration mit Hun« 
derten von Unterfcbriften an die verbündeten Regierungen ein« 
gereicht worden. Man könnte nun annehmen, daß hierin eine 
ernftliche Bedrohung des kunftgewerblicben Gedankens zu er« 
blicken fei, daß gewiffermaßen ein Gegner entftanden fei, der 
mit feiner wirtfcbaftlichen Macht die künftlerifchen Anläufe im 
Gewerbe zerftören und vernichten könnte. Solche Befürchtungen 
müffen indeffen wefentlich zufammenfcbrumpfen, wenn man be= 
denkt, daß die kunftgewerbliche Bewegung eine aus dem Geiftes« 
leben der Zeit entftandene, aus einer inneren Notwendigkeit 
hervorgegangene Bewegung ift, während die Protefte der Gegner 
aus rein pekuniären Beweggründen entftanden find. In diefen 
Proteften ift nichts weiter zu erblicken, als die Äußerung des 
Unbehagens darüber, daß neue Ideen, die von Jahr zu Jahr mehr 
Macht im Geiftesleben des Volkes gewonnen haben, den bis« 
berigen Gefchäftsbetrieb der kunftgewerblichen Produktion auf« 
gerüttelt, man könnte fagen angerempelt haben. Die Antwort 
darauf find die Protefte. Im Grunde find fie nur ein erfreuliches 
Zeichen, daß die Bewegung, die fich bisher auf einen kleinen 
Kreis von Intellektuellen befchränkte, jetjt immer mächtiger an 
die Pforten der kunftinduftriellen Fabrikation fcblägt und ihren 
Unterbau da, wo er morfch ift, gefährdet. Die Proteftler find 
jene Elemente, die fich in dem alten Betrieb woblfüblen, nach 
welchem der Fabrikant angeblich fich nach dem Gefcbmack des 
großen Publikums richtete und das große Publikum die albernen 
Stilmoden willig binnahm, mit dem der Fabrikant feine Ab« 
nebmer unterhielt. Plötjlicb fängt dies Abnebmerpublikum an, 
felbftändig zu denken; es ift angeregt und aufgerüttelt durch 
die Erzeugniffe der Künftler, es bat Ausftellungen gefehen und 
wundervolle, barmonifche Innenräume erblickt, die von Künftlern 
berrühren. Und es zweifelt nun an dem Rat, den ihm bisher 
der Fabrikant und Händler gab. Es ift nur natürlich und menfch« 
lieh verftändlich, daß der Fabrikant und der Händler zunäcbft 
diefe Unbequemlichkeit bekämpfen werden. Aber, daß folcbe 
Protefte und Angriffe einer großen geiftigen Zeitftrömung gegen« 
über verhallen müffen, ift ebenfo klar. □ 
Und im übrigen kann man beute fchon darauf hinweifen, daß 
es keineswegs gefchäftlich ausfichtslos ift, fich in den Dienft der 
modernen Bewegung zu ftellen. Eine Anzahl von kunftgewerb« 
liehen Produzenten, die logifcb und konfequent diefen Weg ver« 
folgt haben, ift zu glänzender wirtfchaftlicher Entwicklung 
gelangt. Es ift hier nur an die »Dresdner Werkftätten für 
Handwerkskunft« erinnert, die aus kleinften Anfängen fich im 
Verlaufe von acht Jahren zu einem Betriebe entwickelt haben, 
der Hunderte von Tifcblern befchäftigt und Millionen umfetjt. 
Allerdings gehört eins dazu: daß der Produzent nicht nur 
mit feiner Berechnung, fondern auch mit feinem Herzen bei 
der neuen Bewegung ift. Dann wird aber der Erfolg nicht 
ausbleiben. Ja man kann fagen, daß den Fabrikanten, die 
nicht Protefte gegen die neue Bewegung unterfchreiben, fondern 
fich ihr als Anhänger anfcbließen, die Zukunft gehören wird. 
Denn fie geben mit der geiftigen Bewegung der Zeit, während 
die anderen den fruchtlofen Verfuch machen, fich gegen fie an» 
zuftemmen. □ 
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