Schottland am meisten vernachlässigt worden und der langen Reihe ruhmreicher Maler
des Landes läßt sich kaum der Name eines einzigen Bildhauers zufügen. Nun ist durch den
Granitreichtum der Gegend von Aberdeen in dieser Stadt ein Industriezweig zur Blüte
gelangt, der mit der Bildhauerei im höheren Sinne zwar nahe verwandt ist, jedoch durch
den geschäftsmäßigen Betrieb der praktischen Schotten in ein von der Kunst weit
entferntes Geschäft entartet ist. Die Bearbeitung des Granits für Grab- und Gedenksteine
und dekorative Bauzwecke konnte bisher in keiner Weise als Kunstbetrieb betrachtet
werden.
Den Steinmetzen fehlte es an richtigem Verständnis der künstlerischen Möglich-
keiten des Materials und an Gelegenheit, das Auge durch Betrachtungklassischer Vorbilder
zu erziehen.
Als nun dem sehr jämmerlichen Museum der Stadt Aberdeen ein ziemlich beträcht-
liches Legat zufiel, welches zur Erweiterung und Verschönerung der Galerie verwendet
werden sollte, faßte Mr. Murray die Idee, an den Patriotismus (vielleicht auch an den
Wetteifer, sich gegenseitig zu überbieten) der hervorragendsten Mitbürger zu appellieren
und sie dazu zu bewegen, zu einer mustergültigen Sammlung von Gipsmodellen beizutragen.
Innerhalb kurzer Zeit war die Sache so weit gediehen, daß im vorigen Monat unter großen
Festlichkeiten das Museum eröffnet werden konnte, und dal} die Sammlung ein übersicht-
liches Bild der Entwicklung der Bildhauerei durch alle Zeitalter darbietet, wie es kein
anderes Museum aufzuweisen hat.
Die Muster sind mit großer Fachkenntnis gewählt und chronologisch angeordnet, so
daß man beim Durchschreiten der Räumlichkeiten den stufenweisen Fortschritt der
Bildnerei durch vier Jahrtausende verfolgen kann, von der chaldäischen Kunst bis zum
Ende des XVIILjahrhunderts in Frankreich. Viele der Abgüsse sind in keiner anderen
Sammlung zu finden, und von ganz besonders praktischem Werte sind die schönen
Beispiele von Steininschriften, welche zweifelsohne gerade auf die Steinmetze von Aberdeen
großen und wohltätigen Einfiuß ausüben werden. Die Halle im Zentrum des Baues ist von
besonderem Interesse, da jede der die Galerie stützenden Säulen aus einer anderen Art
Aberdeener Granits gearbeitet ist, so daß der Raum selbst jede Abart des Steines der
Gegend verführt. P. G. Konody
ÜDÜLF V. ALT. Variationen von Ludwig Hevesi. Wien, Konegen 1905. Hevesi
ist einer der Berufenen, über Alt zu schreiben, denn er ist ein Wissender und einer
von denen, die den Altmeister würdigten und priesen, auch zu einer Zeit, da er zurück-
gedrängt schien und von vielen gerne zum alten Eisen geworfen worden wäre. Das ewig
junge, das immer vorwärts Strebende, das immer lebendig Moderne, das keine zeitlichen
Grenzen, keine Rücksichten, keine Schlagworte, keine anderen Erwägungen und Ziele als
die der reinen lauteren Kunstempfindung kennt - all das, was Rudolf v. Alt auszeichnete,
seine eigenartige Stellung begründete und ihn den Jungen und den Alten gleich teuer und
vorbildlich machte, hat Hevesi in wiederholten Darstellungen, Charakteristiken und Kritiken
klar, deutlich, liebenswürdig und wie immer formvollendet ausgesprochen. Die hier vor-
liegende Sammlung von Aufsätzen, die im Laufe der Jahre zu besonderen Alt-Tagen
geschrieben waren, vermehrt um die nach Alts Ableben veröffentlichte köstliche Alt-
Menzel-Parallele, lassen im Leser, dem Kundigen und dem weniger Vertrauten, ein pracht-
volles, scharf umrissenes und gemütlich vertieftes Bild des großen Meisters erstehen, wie
er war und wie er in unserer Erinnerung und in der Geschichte fortleben wird: als der
Österreichischeste unter den Allerersten und Allerbesten, welche das große Schaffen und
Ringen des XIX. ]ahrhunderts hervorgebracht hat. Das wunderbare Selbstporträt vom
Jahre 1897, Skizzen und Aquarelle persönlichster Färbung, Bachers Zeichnung (Alt am
Maltisch) und eine Reproduktion von Juchs Relief (Alt und Anzengruber) zieren das
reizende Gedenkbuch. E. LeiSChing