im Rahmen fteben als nur möglich. Das Geheimnis der fcbönen
Proportion, das ja das eigentliche innere Schönheitsmerkmal
der Baukunft ift, muß dem Photograph vollends aufgegangen
fein. Hat er es gefunden, dann weiß er es auch mit annähernder
Sicherheit an den Werken der alten und neuen Baukunft zu
entdecken. In der Tat ift es vom architektonifchen Standpunkt
aus das Wicbtigfte, was uns an den flrchitekturwerken in-
tereffiert, dasjenige, an das ficb das auf Rhythmus und Harmonie
geftellte Empfinden zuerft und inftinktiv wendet. Die Ausbil
dung diefes Sinnes, des fecbften, ohne den die Mufik bloßer
Lärm, architektonifche Maffen nur Ungetüme, Farbe, Licht und
Schatten unvermittelte Gegenfätje, Taft- und Gefchmacksemp-
findungen lediglich Quantitätseindrücke find, diefe Ausbildung
liegt der Hauptfache nach außerhalb der Betätigungsfphäre des
Amateurs, fie bildet den allumfaffenden Bezirk der künftlerifcben
Bildung, aber fie hat natürlich den ftärkften Einfluß auf die
künftlerifcben Leiftungen in der Photographie. Vielleicht wird
fpäter einmal Gelegenheit fein, das künftlerifcbe Gefe§ der
fcbönen Proportion und ihre Anwendung auf die Amateur-
pbotograpbie ausführlich zu behandeln, was in diefem Zufammen-
bang nicht gefcbeben kann. Für diesmal muß es genügen, auf
die Bedeutung diefer Frage aufmerkfam zu machen, die bei
jeder Arcbitekturaufnabme eine eminente Rolle fpielt, und nicht
nur hier, fondern in jedem Landfchafts- und Straßenbild, nicht
nur was die Objekte in der Naturanficht betrifft, fondern die
Verhältniffe, in denen fie auf der Platte zu flehen kommen.
Bei Gebäudegruppen find nicht nur diefe Gefe^e maßgebend,
fondern auch die Wahl eines geeigneten Standpunktes, von dem
aus die Gruppe als einheitliches Ganzes zufammengefaßt er-
fcbeint. Diefelben Gefetje, die in bezug auf das einzelne Ge
bäude oder auf malerifcb aufgelöfte Gebäudegruppen gelten,
finden ihre Anwendung auf die Pla^- und Straßenbildung, auf
das Nebeneinander mehrerer Gebäudeanlagen, die in der höheren
Ordnung der ftädtebaulicben Verfaffung eine Einheit zu bilden
haben. Der Photograph, der uns in ftädtebaulicber Hinficht in-
tereffante Straßen«, Pla^- und Gebäudeaufnabmen bringen will,
oder mit diefer Rückficht Aufnahmen von fcbönen Brunnen,
Denkmälern, Gärten, Bäumen und Baumgruppen, muß mit den
allgemeinen Städtebaugrundfä^en bis zu einem gewiffen Grade
vertraut fein, um zu wiffen, worauf es bei der Aufnahme an
kommt. Es werden ganze Bücher publiziert, photographifcbe
Publikationen als Architekturwerke, Städteanfichten und Albums
ufw., die durch eine gewäffe malerifcbe Auffaffung anziehend
erfcheinen und die doch nur in einem verminderten Grade
brauchbar find, weil ihnen eben der zielbewußte architektonifche
Blick in bezug auf Bauwerk und Städtebau fehlt. Aber die
Gefe^e der proportionalen Harmonie, die in der Baukunft, im
Städtebau und fchließlich doch auch in der Malerei eine enorme,
vom Laienpublikum aber viel zu wenig gewürdigte Rolle fpielen,
find fogar auch maßgebend für jene Raum- oder Flächengebilde,
die fich in der pbotograpbifchen Platte oder in der Bildfläche
felbft repräfentieren. Kurz, wir wollen die Objekte fo auf
unferer Fläche haben, daß fie felbft in der Erfcheinung auf der
Platte eine intereffante Teilung des darin zur Verfügung flehenden
Raumes bewirken, ganz abgefeben davon, daß wir zugleich
einen intereffanten Einblick in den künftlerifcben Geift der ge
gebenen realen Verhältniffe des Objekts bieten wollen. Diefe
künftlerifcbe Pflicht läßt nicht nach, ob es fich nun um Land-
fchafts-, Architektur-, Interieur- oder Modellaufnahmen bandelt.
Alfo auch die fcblechtweg genannte Induftriepbotograpbie bedarf
des künftlerifcben Adels, und diefe ganz befonders. Hier ift
eine Brefche, in die der kunftliebende, äftbetifch difziplinierte
Photograph zu treten hat. □
»DER NEUE STIL« VON HENRY VHN DE VELDE
er Myftiker der Linie befaß in den erften Jahren der
modernen Bewegung in Deutfcbland entfcheidenden Ein
fluß auf die Entwicklung; faft kein Künftler, der nicht
vorübergehend wenigftens unter der Einwirkung diefes Mo-
dernften unter den Modernen geftanden ift. □
Sein Beifpiel wird fpäter vielleicht noch größere Bedeutung
gewinnen, wenn die Erkenntnis durchgedrungen fein wird, daß
es fich bei der Erneuerung der Architektur und des Kunft-
gewerbes nicht um die »Umwertung der hiftorifchen Form, nicht
um eine Renaiffance, fondern um eine völlige Neugeburt, um
eine Naiffance handelt, deren Verkünder van de Velde feit dem
Augenblick gewefen, da er in den Gefichtskreis der deutfcben
Bewegung getreten. Einer der ganz Wenigen, die die moderne
Forderung erkannt und fich in Übereinftimmung mit den charak-
teriftifchen Zeichen der neuen Kultur gefegt haben, die von der
edlen Sachlichkeit der Eifenkonftruktionen, der modernen Fahr
zeuge, der Sportkoftüme und des Salonrocks beftimmt worden,
bat er die Vielen und allzu Vielen unter den Künftlern und im
Publikum zum Gegner, die in Richard Wagner fterblicb find, in
dem Opernromantizismus, der künftlerifcb und politifcb durchaus
reaktionär ift wie alle Sentimentalität, auch wenn fie mit Ger
manentum und deutfcbnationaler Kraftpofe bramabafiert. Es
gibt auch Architekten, die diefer Sentimentalität huldigen und
in der Gefchichte nach dem Leitmotiv fuchen, das die bequemen
Gedankenverbindungen, die billigen Erfolge, die leichte Frucht
barkeit, die die Scba^kammern der Vergangenheit aufs neue
plündert, gewährt. Aber diefe Sentimentalität, die der Un
fruchtbarkeit ein »Gnadenmäntekhen« umbängt, verhindert die
Aufgabe zu fehen, die uns die neue Zeit ftellt. Die neue Zeit
fordert den neuen Stil, der fich aus der Summe der Tendenzen
ergibt, die den paffenden Ausdruck für die fchöpferifche Eigenart
diefer modernen Zeit zu finden fuchen. Die moderne Kultur
hat Erfcheinungen hervorgebracht, die nicht aus dem Vorbild
der Vergangenheit gefcböpft werden konnten und die keiner
anderen Zeit eigentümlich find, als der unfrigen; diefe Er
fcheinungen beftimmen den neuen Stil, ob es fich um Eifen
konftruktionen handelt, oder um Möbel, um Architekturen, um
die Fragen der Hygiene, der Leibesübungen, der gefellfcbaft«
liehen Formen oder der Konvention des guten Gefcbmacks bandelt,
der ebenfalls international und kosmopolitifch ift, von den all
gemeinen Grundfä^en des Komforts und der Eleganz beftimmt.
Van de Velde hat feine Kräfte nicht in den Dienft der Sen
timentalität, die zeitflüchtig wird und in der Illufion des ewig
Geftrigen und Vergangenen fchwelgt, fondern er bat fie in den
Dienft der Vernunft geftellt, die den Bedingungskomplex des
modernen Dafeins zu erkennen fucht und das eigene künftle-
rifche Schaffen determiniert. Seine Schrift »Vom neuen Stil«,
die kürzlich im Infelverlag, Leipzig, erfchienen, ift von dem
Lebensbauch erfüllt, der feine Arbeit beftimmt. Eine Stunde
anregender Lektüre, die erfrifchend und belebend wirkt wie
Radium. Allen zu empfehlen, die an der Krankheit des Jahr
hunderts leiden, an der Sentimentalität, die in Kunft und Literatur
die Hemmungen febafft, die uns nicht zu dem Lebensinhalt der
Gegenwart und ihren Problemen gelangen laffen. □
Die Erneuerung der Ornamentik, des Künftlers Manifeftation,
in der er der Überlieferung gegenüber fein eigenes Leben und
Denken bejahte, mußte ihn fofort in Gegenfa^ zu den An«
febauungen bringen, mit denen uns die Kunft des Gewobnbeits«
bildes umfängt. □
Es ift der Gegenfafl, der uns von den Empfindungen un
ferer Eltern und ihrer Zeit trennt, von den Empfindungen der
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