Karolingischer Tragaltar mit Eltenbeinschnitzereien und Ornamentfriesen aus vergoldetem Silberblech
(Kirche Saint-Aubin in Namur)
ornament in feinst nuanciertem Grubenschmelz ausgeführt. Die Bewegung
der beiden Figuren ist preziös, entbehrt aber keineswegs einer gewissen
Anmut.
Hier sei noch ein kleines Klappaltärchen aus Herzoglich Arenberg'schem
Besitze von etwas späterer Stilistik erwähnt. Der Mittelteil zeigt unter dem
Brustbild des Weltenrichters eine Vertiefung für die Reliquien, daneben zwei
Erzengel, unter ihnen die Köpfe der „Oratio" und der „Elemosina", den
ganzen unteren Teil nimmt die „]ustitia" als Seelenwägerin ein - also noch
eine antikische Allegorie gleichsam als Vorbotin der in Italien gerade jetzt be-
ginnenden Renaissance - zu der sich „Misericordia" und „Pietas" mit der für
das frühe Mittelalter charakteristischen orientalischen Devotionsgebärde der
verhüllten Hände fürbittend wenden; die beiden Flügel werden von Posaunen
blasenden Cherubim und den der Erde entsteigenden Toten eingenommen.
Die hölische, unangenehm bewegte Gebärde späterer jahrhunderte ist bei den
meisten dieser Gestalten schon bemerkbar. - Die gotische Kunst konnte sich
ihrer ganzen Stilpsychologie nach nicht mit den breiten Flächen des opaken
Emails zufriedengeben: sie suchte alles aufzuteilen, feingliedriger zu ge-
stalten, deshalb griff sie zu dem transluziden Glasflusse, diesem eine häufig
aus dünnem Silberblech bestehende Unterlage gebend, die eine Gravierung,
zum Beispiel kleine Quadrate mit Segment- und Diagonallinien, erhielt. Als
Beispiel nenne ich hiefür einen wimpergüberragten, Haleniiankierten
Miniaturklappaltar aus der Kirche Saint-Aubain zu Namur: Golgatha mit
allen seinen Episoden darstellend, des eckig bewegten hochgotischen Stiles,
der, wie schon erwähnt, in der Mitte des XIV. Jahrhunderts seinen Sieges-
lauf durch die Welt von der Isle de France aus antrat. Die blaue und
grüne Farbe herrscht hier vor, daneben ist dunkles Gelb und Ziegelrot
sparsam verwendet; alles in allem eine zu der Silbergoldlegierung des
Rahmenwerkes, in dessen Fuß noch eine „Grablegung" graviert ist, nicht
übel passende Farbenauswahl.
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