Anschauungen zu weitläufig schienen. In
kleinen Räumen kamen sie selbst sich grö-
ßer vor. Gegen das Gefühl der Nichtigkeit
kämpfte auf höherer Kulturstufe das der Un-
sterblichkeit an. Als der Mensch die Natur-
gewalt meistern lernte, schwand allmählich
das Gefühl der Feindseligkeit und des Gegen-
satzes, der Mensch ward ein Teil der Natur
und mit ihr unvergänglich. Das irdische
Dasein wurde nur als ein Teil der Existenz
betrachtet, man baute Totenstädte, in wel-
chen die Abgeschiedenen weiterlebten. Die
Unsterblichkeit blieb von da an die Grund-
anschauung in dem Verhältnisse zwischen
Diesseits und Jenseits bis in unsere Zeit;
die verschiedenen Formen, in welchen sie
auftrat, fanden im Totenkultus, im Schmuck
der Gräber wechselnden Ausdruck. Die
Seelenwanderung in Tierkörper bei den
Ägyptern, die Wiedergeburt der Platoniker,
die Unsterblichkeitslehren in den Mysterien des Bacchus, der Cybele, des
Mithras und Orpheus spiegeln sich in der Kunst wieder.
Bei den Griechen enthalten die Grabstelen allerdings nur selten Andeutun-
gen an diese Vorstellungen, um so mehr aber die großen Grabamphoren. Hier
finden wir auch das christlichenAnschauungen vorausgehendeTotengericht,
Hermes als Seelenwäger in einer Rolle, wie sie später dem Erzengel Michael
zu Teil wurde, die abgeschiedene Seele in Gestalt eines nackten Kindes und
zahlreiche andere Anknüpfungen des Mysterienglaubens an christliche An-
schauungen. Die Sarkophagreliefs, namentlich römischer Zeit, schwelgen in
bacchischen Szenen, deren symbolische Bedeutung zu der Darstellung selbst
etwa in demselben Verhältnis stand, wie die Auslegungen des Hohen Liedes
Salomonis zu dessen Wortlaut. Überschäumende Lebenslust vertrug sich
aber auch ohne Umdeutung mit antiken Anschauungen. Am liebsten ging
man Darstellungen des Todes ganz aus dem Weg oder symbolisierte ihn in
mildester Form als schönen Genius mit gesenkter Fackel, als I-Iypnos und
Attys. Der Verstorbene wurde porträtiert, wie er im Leben erschien, von
seiner Familie umgeben, Frau und Kindern als Zeichen derZusammengehörig-
keit die Hand reichend, als Jäger, als Krieger hoch zu Roß, in voller Waffen-
riistung, zur Römerzeit mit Vorliebe in der Toga des Bürgers, auch wenn er
Legionär war. Mag er stehen, reiten oder liegen, immer ist er in vollem
Leben dargestellt. Die Flachreliefs griechischer Stelen durchbebt eine leise,
wehmütige Abschiedstimmung, in dem schönen Grabbilde des Orpheus und
der Eurydike wird neben dem Abschied auch das Wiedersehen angedeutet.
Nirgendwo aber finden sich stärkere Ausdrücke der Trauer und des Schmerzes,
H. Flußmann, Grabmal seiner Eltern
21'