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DAS BÜRGERLICHE WOHNHAUS IN ÖSTER-
REICH S0 VON HARTWIG FISCHEL-WIEN S0-
ANCHE Grenzgebiete national verschiedener An-
siedlungsbereiche sind für das Studium des Bau-
wesens von großemlnteresse. Die scharfen Gegen-
sätze ausgeprägter Bautypen, welche in nationalen
Traditionen, in klimatischen Verhältnissen wie in
1 - der Beschaffenheit unserer Erdoberüäche begrün-
det liegen, erfahren in den Grenzgebieten häufig
eine Annäherung, eine Vermischung und Abschlei-
fung, die in ihrer Besonderheit wieder ganz eigen-
artige, künstlerisch reizvolle Bildungen zeitigen
können. Wie verschiedene Blütengattungen von
besonderem Reiz durch Kreuzung entstehen, so bilden sich auch mitunter Bau-
typen sehr charakteristischer Färbung durch die Wechselwirkung nationaler
Gegensätze.
Die österreichisch-ungarische Monarchie bietet für solche Studien reiche
Gelegenheiten. Unsere Alpenländer bilden große Länder-gebiete, in denen vom
Norden her germanische, vom Süden romanische Einflüsse lebendig wirken.
Diese dauernden lokalen Erscheinungen sind in früheren Jahrhunderten noch
wesentlich verstärkt und weitergetragen worden durch die große Vorliebe
der höheren germanischen Gesellschaftsschichten für romanische Kultur,
durch Pilgerzüge, Romfahrten und Handelsbeziehungen. Große I-Ieerstraßen,
die vom Herzen Deutschlands nach Italien führten, durchziehen ein
beträchtliches Stück der westlichen Provinzen Österreichs. Andrerseits
bilden die slawischen und magyarischen Länder wichtige Gebiete besonderer
Kulturentwicklung, in denen der Einüuß der älteren westlichen auf die
jüngere östliche Kultur beobachtet werden kann. Der Zug der Völker vom
fernen Osten nach dem Westen hat aber schon sehr häufig auch orientalische
Einflüsse nach Österreich getragen, die in manchen Kronländern in Bau-
werken bleibenden Ausdruck fanden.
Während nun naturgemäß das Wohnhaus der ländlichen Bevölkerung,
das Bauernhaus, eine ausgeprägtere nationale Färbung behält, dem kon-
servativen Sinn der Bewohner eine lange Konservierung einfacher alter
Baugedanken verdankt, bleibt das vornehme Haus der obersten Gesellschafts-
klassen am wenigsten unbeeinßußt, es nimmt zu gewissen Zeiten geradezu
einen internationalen Charakter an, der zeitweilig einem verhältnismäßig
raschen Wechsel ausgesetzt ist.
Zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich der Bautypus des
bürgerlichen Wohnhauses, dem wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden
wollen.
Er besitzt durch seine Abstammung vom Bauernhaus öfter jenen
Gehalt an Bodenständigkeit und Erbgesessenheit, der ihm ein typisches
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