Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
13. Jahrgang. Wien, 15. Dezember 1921. Nr. 24.
Die „Museumskrankheit“ des Zinns.
Die bei Sammlern, sowie in Museen aufgestellten
Kunstgegenstände unterliegen manchmal einer merk
würdigen, nicht eben erfreulichen Veränderung. Sic
fangen an, schlecht auszusehen. Dann zeigt sich an
ihnen eine Art von Verwitterutigserscheinungen, die
sich über immer größere Flächen verbreiten und zuletzt
zu einem vollständigen Zerfall „führen können. Manch
mal treten auf der Oberfläche des Zinns aber auch
warzenartige Ausblühungen auf, die immer weiter und
weiter wachsen und gleichfalls mit der Zeit die Zer
störung des ganzen Zinngegenstandes im Gefolge haben
können. Da diese Erscheinung hauptsächlich an alten,
in Sammlungen und Museen befindlichen Medaillen,
Humpen und sonstigen Kunstgegenständen aus Zinn
auftritt, so hat man sie als ,,Museumskrankheit“ des
"Zirm-"bezeichnet. Die Erscheinung ist jedoch nicht nur
auf altes Zinn beschränkt, sondern zeigt sich zuweilen
auch bei neuem. So zerfiel zum Beispiel vor einer Reihe
von Jahren das aus gegossenen Zinnplatten hergesfeilte
'•Dach des Postgebäudes,, in der altberühmten Stadt
Rothenburg ’ ob der Tauber. Durch die Muscums-
krankheit oder, wie sie auch genannt wird, die ,,Zinn
pest“ werden nun ständig hohe Werte, und zwar sowohl
in Museen wie in privaten Sammlungen, vernichtet.
Wie kann man sich nun gegen diesen Zerfall
schützen? Dr. Albert Neuburger schreibt darüber
in der ,,Berliner Morgenpost“: Zunächst ist es auf
fällig, daß die Krankheit nicht an Zinngegenständen
auftritt, die sich ständig im Gebrauch befinden, sondern
nur an unbenutzten. Die in Familien, in Bauernhäusern
üsw. täglich verwendeten Zinngefäße bleiben Jahr
hunderte lang heil und gesund. Werden sie dann von
einem Sammler erworben und aufgestcllt, so tritt
schon manchmal nach einiger Zeit der- Zerfall ein.
Auf Grund eingehender, von Professor Dr. Ernst
Cohen vom van’t Hoff-Laboratorium der Universität
Utrecht vorgenommener Untersuchungen hat sich
nun gezeigt, daß es sich hier tatsächlich um eine Infek
tionskrankheit handelt, die von einem Individuum auf
das andere, also von einem Zinngegenstand auf der
andern, übertragen werden kann. Bringt man ein Stück
gutes Zinn mit einem erkrankten in Berührung oder
faßt man das letztere mit den Fingern an und nimmt
man hierauf das gesunde Metall in die Hand, so er
krankt dieses gleichfalls. So kann also durch einfaches
Betrachten der Zinngegenstände einer Sammlung die
Zinnpest von einem Stück auf das andere überpflanzt
werden. Wie bei jeder Infektionskrankheit, so ist es
auch hier: Die Erkrankung tritt nur dann ein, wenn
eine gewisse Disposition vorhanden ist.
Die Disposition liegt tum nicht etwa in der che
mischen Zusammensetzung des Zinns, das ja bei allen
Kunstgegenständen niemals als absolut reines Metall
vorliegt, sondern das stets noch geringe Mengen anderer
Metalle enthält. Sie liegt vielmehr, wie zuerst durch
Dr. Fritz sehe angedeutet und dann durch Professor
Cohen genauer festgestellt wurde, in erster Linie in
der Temperatur. Bei Temperaturen über 18 Grad
Celsius tritt keine Erkrankung des Zinns mehr ein.
Bei niedrigeren Temperaturen ist die Disposition zur
Infektion gegeben. Professor Cohen bezeichnet die
Temperatur von, 18 Grad als Umschlagstemperatur.
Ihre Kenntnis gibt uns ein Mittel an die Hand, um die
Zerstörung zinnerner Sämmlungsgegenstände zu ver
hüten. Es ist nur nötig, dig Sammlung in einem Raum
'aufzubewahren, dessen Temperatur über der Umschlags-
temperatur liegt. Im Winter sollen deshalb zinnerne
Sammlungsgegenstände, falls sich die Heizung ihres
gewöhnlichen Aufbewahrungsraumes nicht ermöglichen
läßt, stets herausgenommen und in genügend erwärmte
Räume gebracht werden. Die Versuche haben gezeigt,
daß sich durch dieses einfache Verfahren sogar das
weitere Förtschreiten einer bereits eingetretenen In
fektion verhüten läßt. Freilich darf sich diese noch nicht
allzu weit ausgebreitet haben. Sind die infizierten
Stellen aber noch klein, so verschwinden die an ihnen
sich zeigenden winzigen Wärzchen usw., sobald der
Gegenstand längere Zeit bei richtiger Temperatur
erhalten wird.
Die „Umschleppungstemperatur“ erklärt auch,
warum die im Gebrauch befindlichen ' Gegenstände
nicht von der Infektion' befallen werden. Sie kommen
ja ständig mit warmen Speisen in Berührung, so daß
sie sich immer wieder von neuem und oft ziemlich stark
durchwärmen. Hierin Hegt schon an und für sich ein
Schutz gegen das Entstehen der Zinnkrankheit. Dann
aber ist ja mit der Tatsache des Gebrauchs meist auch
ein häufiges Verbringen in warme Räume verbunden.
Dadurch werden alle jene Stücke geschützt, die'nicht
zur Aufnahme warmer Speisen oder warmer Getränke
dienen.
Metallegierungen, die nicht in der Hauptsache Zinn
enthalten, sondern denen nur kleinere Mengen davon
beigemengt sind, scheinen der Zinnkrankheit nur in
ganz vereinzelten Fällen zu unterliegen. Daß aber auch
bei ihnen Vorsicht und ständige Beobachtung geboten
ist, beweist der Umstand, daß die Zinnpest einmal auch
an einem alten, aus der Biedermeierzeit stammenden
Türdrücker beobachtet wurde, der zwar die Farbe des
Messings aufwies, in dem aber auch Zinn enthalten war.