u:-
CHINESISCHE STOFFE AUF EINEM ITALIENI-
SCHEN BILDE DES XV. JAHRHUNDERTES Sie
VON MORITZ DREGER-WIEN Sie
N der barocken Kirche St.Alessandro zu Brescia
ist über einem Seitenaltare hinter goldgestick-
tem Seidenvorhange verborgen ein Gemälde
aufgestellt, dessen weitvorspringender goldener
Rahmen allein schon eine ganz andere Ent-
stehungszeit verrät als der jetzt bestehende
Prachtbau. Wir bilden hier die beiden Haupt-
teile des Altarwerkes mit der Verkündigung
Mariä ab; in der Predella sind noch fünf ver-
schiedene Szenen aus der Marienlegende dar-
gestellt, alles in einer Art, die auf den ersten
Blick einigermaßen an die Richtung des Fra Angelico da Fiesole gemahnt
und in der Tat hat man das ganze Werk auch lange diesem Künstler zuge-
schrieben; heute darf es mit Morelli und Frizzoni wohl als ein Werk des
Jacopo Bellini, des Vaters Gentiles und Giovannis, oder wenigstens als
eine diesem Künstler nahestehende Arbeit angesehen werden." Für die Frage,
die uns hier beschäftigen soll, ist die Erforschung des Meisters übrigens eine
weniger wichtige; auch die Feststellung des engeren Entstehungsgebietes ist
hier ziemlich belanglos. In anderem Hinblicke wäre es ja gewiß sehr fesselnd,
beiden Fragen nachzugehen, um so mehr als wir es hier mit einem Werke
zu tun haben, das uns in mancher Beziehung „gotischer" anrnutet als viele
vergleichbare, selbst ältere, Werke der italienischen Kunst. Für unsere
Frage mag es aber genügen, die wohl unzweifelhafte Tatsache festzustellen,
daß wir hier eine (ober-)italienische Arbeit aus der mittleren Zeit des XV. Jahr-
hundertes vor uns haben. Es soll nämlich gleich gesagt sein, daß wir uns
hier nur mit den in der Hauptdarstellung wiedergegebenen Gewandstoffen
beschäftigen wollen.
Der Grund der beiden Stoffe ist golden; die Muster scheinen schwarz
eingezeichnet zu sein, doch tritt das Rot des Maluntergrundes in dem
Schwarz vielfach stark hervor. Vielleicht war bei dem Gewande des Erz-
engels die Zeichnung auch immer rotbraun; bei dem Alter des Werkes, dem
hohen Standorte, der schlechten Beleuchtung und der Verglasung des Bildes
ist das jetzt schwer zu erkennen. Da der Goldgrund aber sehr gut erhalten
ist, kann man über die Musterung selbst nicht im Zweifel sein; auch scheint
diese Musterung bei jedem der beiden Stoffe nur einfarbig gegeben zu
" Vgl. Morelli „Della pittura italiana. Le Gallerie Borghese e Doria Pamphili . . ." (Mailand, 1897.)
Seite 270, Anmerkung 2, und Gustavo Frizzoni „Giovanni Morelli e la critica moderna" (Archivio storico del-
l'arte 1897, Seite B3). Übrigens hatte schon Crowe und Covalcaselle („Geschichte der italienischen Malerei"
Leipzig, 1876, VI. Band, Seite B4) die Urheberschaft Fra Angeliccfs als zweifelhaft angesehen. An Venedig
erinnert auch schon das geschnitzte Rahmenwerk. - Ich benütze hier die Gelegenheit, Herrn Privatdozenten
Dr. H. j. Hermann, Kustos am kunsthistorischen Hofrnuseum, der mich auf den Aufsatz Frizzonis aufmerksam
machte, meinen ergebenslen Dank auszusprechen.