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Volltext: Monatszeitschrift IX (1906 / Heft 12)

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Eindruck, denn sie wandern nun in die Verborgenheit des Reliquienschreins zurück und 
es ist anzunehmen, daß von der heute lebenden Generation sie niemand wieder zu Gesicht 
bekommt. 
Von neuen Theaterarchitekturen ist zu berichten. Am Nollendorfplatz erhebt sich das 
Neue Schauspielhaus mit dem Mozart-Saal für Konzerte. 
Leider fuhrt uns dieser Bau, der von der Firma Boswau und Knauer errichtet wurde, 
architektonisch nicht weiter. Er ist abseits von den wirklich ernsten neueren Bau- 
bestrebungen entstanden. Nicht ganz so verfehlt freilich wie die komische Oper Biberfelds, 
da die Proportionen im Inneren gut, die Platzanordnung übersichtlich, I-Iör- und Seh- 
verhältnisse günstig sind. Doch die Ausstattung des Zuschauerraums ist nicht baumeister- 
liehen Geistes, sondern im fadesten Dekorationsgeschmack. Tapezierkünste machen sich 
breit, Posamente hängen als kleinliche Abschlußkanten am Rand des ersten Ranges. Der 
Vorhang mit Palmetten, Pfauenfedern mit glitzernden Glaskugelketten ist in ethnographischer 
Karussel-Manier. Im Foyer herrscht buntscheckige Malerei. Keine Ausgestaltung merkt 
man, sondern nur das Zerrbild wahllos überladener Ausputzerei. 
Das Vestibül hat bessere Qualität. Marmorwandbekleidung, Bronzetüren, Decken- 
beleuchtung aus mattglühenden Glas-Cabochons bilden ein bewährtes Ensemble. 
Nicht gut steht es mit der Fassade. Sie ist mehr geklebt und zusammengesetzt als 
gegliedert. Nach dem Nollendorfplatz wälzt sie sich, viel zu bombastisch für die nahe Miet- 
hausnachbarschaft, als ein starrendes Bollwerk vor mit Pantherwagenbekrönung auf den 
Seitenpfosten. 
Die Seitenfassade präsentiert sich reiner. Sie bildet die Außenwand des Mozart- 
Saales und erreicht mit weißsprossigen, langen schmalen Fensterleisten, mit weiß 
gerundeten Ausbuchtungen eine gewisse Anmut, nur stimmen die beiden Gesichter des 
Baues eben gar nicht zusammen. 
Außerordentlich gelungen ist dafür ein anderer Theaterrahmen, der aus der Messel- 
Schule hervorging, und zwar aus der legitimen, geistesechten. 
Es ist ein Werk William Müllers und eine Könner- und Geschmacksprobe ersten 
Ranges, die dem Besteller wie dem Erfüller gleichermaßen Ehre macht. 
Der Besteller war Max Reichhardt, der Direktor des Deutschen Theaters. Er wollte 
neben dem großen Bühnenhaus ein intimes Theater haben, um seinen Plan eines 
dramatischen „Kammerstils" zu verwirklichen. 
Neben dem Deutschen Theater lag ein Tanzhaus aus Altberliner Quartierlatin- 
Zeiten. Aus diesen Räumen, die sehr günstige Proportionen hatten, erwuchs das 
Kammerspieltheater. In seiner Formulierung ist alles Ausdruck und Ausgestaltung, 
organische Führung ohne jeden überiiüssigen, nur von außen hinzugetanen Putz und 
Schmuck. 
Es galt, das Wesen der hier zu beherbergenden Kunst auszudrücken, also Sammlung, 
Intensität, Konzentriertheit. Es ward ein Material und eine Farbengebung voll tiefer Ruhe 
und zugleich schwingender Resonanzwirkung erwünscht, und so ward Vorraum und 
Bühnensaal ganz in Holz gekleidet. 
Der Vorraum, graziös in seiner schmalovalen Linie, hat Wände aus Padukholz mit 
feingeperltem Rahmenwerk, kastanienfarbig schattiert und dazu einen warm leuchtenden 
roten Teppich, als festlich hohen Klang dazu der gelbkörnige Marmor der Ibsen-Büste 
von Kruse. 
Der Saal ist in weißgelbem I-Iolz ausgefüttert, er hat eine Logenempore mit 
diskreten Fensterausschnitten, brokatgardinenverhüllt. Lichtgrüu liegt die Decke darüber. 
Beleuchtung gibt eine Kristallkrone mit elektrischen Kerzen und Wandarme, gleichfalls 
mit Kristallbehang, unter dem nach Verlöschen der oberen Kerzen das Notlicht während 
des Spiels geheimnisvoll schimmert.
	        
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