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Volltext: Monatszeitschrift X (1907 / Heft 3)

archäologische Erklärung gibt eine französische Krippenskulptur, wohl aus 
dem beginnenden XV. Jahrhundert (Abb. 53). Die Krippe mit dem Kind, 
welche zwei Hirten und die typischen beiden Tiere umstehen, gleicht im 
Aufbau ganz jenem Wiegengestell der Renaissance. Sollte eine schwache 
Reminiszenz an die wirkliche Futterkrippe Christi auch noch bei der 
Renaissancewiege nachgewirkt haben? Vielleicht könnte man eher von einer 
„Archäologie des Unbewußten" sprechen, denn die ehrwürdige Matrone in 
Clermont-Ferrand, von der die Renaissancewiege in die Sammlung gelangte, 
erwiderte dem heutigen Besitzer gegenüber auf den Hinweis auf deren 
Krippenform mit den berichtigenden Worten: „Die Krippe war ein Futter- 
trog, aus dem die Tiere gefressen haben, die Wiegen aber hat man hierzu- 
lande immer so gebaut, daß das Kind für die bei uns in den meisten Wirt- 
schaften vorhandenen Haustiere nicht erreichbar blieb." 
Ein auserlesen schönes, allerdings der Plastik und Kleinkunst mehr als 
den Möbeln zuzugesellendes kleines Krippenbett des XV. Jahrhunderts, wohl 
das schönste uns überhaupt überlieferte Exemplar dieser Gattung, kann für 
diese Lücke Ersatz bieten. Es stammt aus dem Beguinenkloster zu Löwen. 
Ein Mittelding zwischen Krippe und Himmelbett, dessen Formen bis auf die 
fehlende Überdachung wir wiederfinden, gibt das kleine Kunstwerk in seiner 
feinen, freudigen Polychromierung, in förmlichem Überschwang an architek- 
tonischer und bildhauerischer Dekoration einen rührenden Begriff von der 
klösterlich inbrünstigen Verehrung des kindlichen Erlösers (Abb. 50 bis 52). 
In eigenartiger Weise verbindet sich in der Architektur dieses kleinen 
Prunkstücks der Charakter der Steinarchitektur mit der des Holzes. Wiege, 
Himmelbett und Gotteshaus in Art des Reliquienbehälters verschmelzen 
sich in selten harmonischer Weise. Die lebhafte Färbung - die Grundfarbe 
ist weiß, mit reicher Verwendung von Gold, Blau und Rot -, der heitere 
Schmuck der oben an der Stelle des sonst dort befestigten Stoffhimmels, der 
hier, um das Innere sichtbar zu lassen, wegbleiben mußte, angebrachten 
Schnüre mit kleinen Kugelschellen, die prächtig gewandeten, musizierenden 
kleinen Engel auf der Bekrönung der Pfosten bringen eine heitere, festliche 
Note in das kleine kirchliche Kunstwerk, einen Schimmer echter Weihnachts- 
freude. Die Innenflächen von Kopf- und Fußteil sind mit einer Papiertapete 
beklebt, die gemalt oben einen Vorhang haltende Engel, unten wieder musi- 
zierende Engel trägt, den Gesamtakkord noch weiter verstärkend. Auch die 
eigentliche Bettausstattung entspricht der krippenmäßigen Prunkentfaltung. 
Den Grundstoff aus roter Seide bedecken Goldfadenstickereien mit echtem 
Perlenbesatz: auf dem Kissen erblicken wir das Lamm Gottes mit den 
Evangelistensymbolen, auf der Decke den Stammbaum Christi. Goldene, rot 
und grün emaillierte Vierpaßknöpfe und blattförmige Silberlamellen am 
Kissensaum treten zu weiterem Schmuck hinzu. Die ernstere, bildhauerische 
Zier bringen die Außenseiten in glücklich komponierten Darstellungen der 
Geburt Christi und der Anbetung der heiligen drei Könige in fast frei 
gearbeitetem Hochrelief.
	        
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