auch die Lösung des Arbeiterhausproblems, wie sie in Bournvillei und Port
Sunlight zum ersten Male, und zwar gleich in umfangreichem Maßstabe
praktisch Gestalt gewann. Begonnen wurde mit dem Bau einiger I-Iäuser in
Bournville 187g. Die Hauptbauperiode aber fällt auf 1895 und die folgenden
Jahre. Damals entstanden im ersten Sommer gleich 200 I-Iäuser, die sich in der
Grundrißdisposition, vor allem aber in der äußeren Erscheinung ganz wesent-
lich von den ersten Ansätzen unterscheiden. (Früheste Häuser siehe Abb. 5.)
Sie bedeuten neben den Anlagen von Port Sunlight überhaupt das beste,
was auf diesem Gebiet bisher geschaffen worden ist. Auf sechs Acres
(2428o,26 Quadratmeter) stehen, Straßen mit eingerechnet, durchschnittlich
sechs Wohnhäuser. je nach der Höhe des Miet-, beziehungsweise Kauf-
preises variiert die Zahl und Größe der Wohngelasse. Bezeichnend wie für
das englische Haus überhaupt ist auch bei diesen Anlagen die Berücksichti-
gung der wirtschaftlichen Nebengelasse. Nicht ein Haus ist ohne Spülküche,
die meisten enthalten Badegelegenheiten oder Badezimmer, Speisekammern,
eigenen Raum für Brennmaterial, oft auch Werkzeugkammern, fest einge-
baute Schränke. Dagegen fällt die Unterkellerung überall weg, was hinsicht-
lich der Baukasten von Belang ist. Wohnküche und Spülküche nebst Wirt-
schaftsgelaß im Parterre, drei Schlafzimmer, wovon eines von bescheidenen
Dimensionen, enthalten selbst die billigsten Wohnungen, deren Wochen-
mietpreis 4 Shilling 6 Pence (jährlich rr Pfund r4 Shilling gleich 235 Mark)
beträgt. Die darauf entfallenden Steuern hat der Mieter selbst zu tragen.
Abbildung rr gibt den Typus einer Doppelanlage solch eines einfachen
Hauses. Man könnte ihn den „Cottage-Typus" schlechtweg nennen. Aus den
Maßen erhellt, daß die Stockwerkshöhen geringer genommen sind, als man
sie zum Beispiel nach deutschen Bauvorschriften zu bemessen hätte, um das
gesetzlich kubische Luftmaß, wie es sich der Kopfzahl der Bewohner ent-
sprechend (bei Neubauten") zu gestalten hat, zu erreichen. Das englische
Klima erlaubt eine weit ausgiebigere, andauernde Lüftung der Wohnungen
als das kontinentale. Der Engländer ist überhaupt mehr Luftmensch als die
nördlichen Kontinentalen es sind, die sich - wozu ist nicht recht klar _
selbst in den Wohnungen des Mittelstands Zimmerhöhen leisten, die ohne
' Die hier mitgeteilten Grund- und Aufrisse sind dem Buche Alex. Harveys: The Model Village and its
Cottages Boumville, London, bei Batsford, 1906, mit Genehmigung des Autors entnommen. Harvey ist, wie
schon früher bemerkt, der architektonische Schöpfer von Bournville. Neuerdings ist auch Architekt H. B. Tylor
daselbst tätig.
"H Daß eine große Zahl deutscher derart belegter Arbeiterwohnungen den gesetzlichen Vorschriften keines-
wegs entspricht, erhellt zur Genüge aus den Mitteilungen, wie sie zum Beispiel in der Schrift Dr. K. Singers,
stellvertretenden Direktors des statistischen Amtes von München, „Die Wohnungen der Minderbernittelten in
München", weiter C. Schirmers: „Das Wohnungselend der Minderbemittelten in München", und anderer auf
Grund statistischer Erhebungen gegeben sind. Unter den in Deutschland vorhandenen Ansätzen zur Lösung der
Wohnungskalarnität ist manches von privater Seite geschehen. Indes ist die Nutzberechtigung dabei vielfach von
der Erfüllung gewisserVoraussetzungen abhängig gemacht,die dem Arbeiter jedwede freie Bewegungsmöglichkeit
versagen und ihn durchaus abhängig machen vom Fabriksherrn. Daher denn auch die ziemlich allgemeine Ab-
neigung gegen die Ansiedlung in Kolonien. Näheres darüber im x 14. Band der Schriften des Vereins für Sozial-
politik. Der neue deutsche Reichstag, dessen liberale Partei bei den Wahlen vor allem „Ausbau der sozialen
Gesetzgebung" versprach, hätte eigentlich genügende Gelegenheit, einmal die Frage des Wohnungselends der
Minderbemittelten zum Gegenstand nicht bloß von Prüfungen und Untersuchungen (deren gibt es gerade genug),
sondern von Taten zu machen.