MAK
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde, 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
16. Jahrgang. Wien, 1. März 1924. Nr. 5. 
Sfflaurycy Sottfieß. 
Von Dr. Moritz Scheyer (Wien.) 
Die nachstehende, in ihrer künstlerischen 
Schlichtheit ergreifend skizzierte Lebensgeschichte 
eines am Wege gestorbenen Meistermalers bildet 
die Einleitung zu einer soeben im Verlage von 
Christoph Reissers Söhne in Wien erschie 
nenen, von Verehrern des Künstlers heraus 
gegebenen Pracht-Mappe der Meisterwerke Mau 
rycy Gottlicbs, die allen Freunden guter Kunst 
aufs wärmste empfohlen sei. 
Am 21. Februar 1856 ist Maurycy Gott lieb in 
Drohobycz, einer kleinen Stadt Galiziens, zur Welt ge 
kommen; und dreiundzwanzig Jahre später mußte er 
sterben, zu Krakau, allein in einem Spital. Was Gottlieb 
während dieser kurzen, ihm beschiedenen Spanne ge 
schaffen hat, in einer wie von Todesahnungen über 
schatteten und zugleich gestachelten Eile: das alles ist 
aus seiner Rasse, aus seinem Milieu und aus der Stunde 
seines Auftretens hinlänglich zu erklären. 
Selbstbildnisse sind Selbstbiographien; sie erzählen 
zwar nur selten von äußeren Begebenheiten, von merk 
würdigen Situationen, aber sie verraten alles. Selbstbild 
nisse entstehen wohl aus irgendeinem Vorwand, aus 
irgendeinem äußeren Anlaß; doch ihre innere Ursache 
ist immer die Sehnsucht des Künstlers, sich zu erlösen, 
den seelischen Inhalt seines Schicksals: Dinge, die der 
Mensch nur mit sich selbst allein abmachen kann, in 
der Form seiner Züge zu sublimieren. 
Von Maurycy Gottlieb, der in Galizien geboren ist 
und wieder in Galizien gestorben ist, existieren zwei 
ungemein aufschlußreiche Selbstbildnisse; auf dem einen, 
dem ersten, sieht man den Jüngling in dem pompösen, 
mit Gold und Edelsteinen überladenen Kostüm der pol 
nischen Schlachzizen, das Reiherbarett auf dem Haupt, 
den Degen an der Seite. Wie eine stolze, kühne und 
ritterliche Fanfare rauscht dieses Bild auf — wie eine 
Fanfare freilich, die etwas falsch und überlaut klingt. 
Und auf dem zweiten Bild stellt sich Gottlieb als Ahas 
ver dar; nur mehr ein junger Jude, ohne jede fremde 
Verkleidung, ohne jede Illusion und Begierde, und in 
seinem Auge ist nichts als jener unergründlich traurige 
und heimwehkranke Glanz, die Sehnsucht und der 
ewige Traum eines uralten Volkes, das durch die Jahr 
hunderte unstet und fremd über alle harten Straßen der 
Diaspora getrieben wird. 
Das erste der beiden Selbstbildnisse ist ein Be 
gehren und ein Ideal;-das zweite eine Erkenntnis und 
ein Sichbekennen. Und zwischen diesen beiden Bildern 
liegt die Tragödie; das Tragödienfragment des Künstlers 
Maurycy Gottlieb. 
Mit achtzehn Jahren kommt Gottlieb zu M a t e j k o, 
dem düsteren und etwas theatralischen Epiker der pol 
nischen Historie. Matejko war ein genialer Regisseur, 
und alle Mittel seiner gefeierten und bewunderungs 
würdigen Kunst, große Massen zu bewältigen, alle blen 
denden und pathetischen Effekte seiner virtuosen und 
leidenschaftlichen Koloristik stellte er fast immer in den 
Dienst seiner repräsentativen patriotischen Mission. Der 
achtzehnjährige Gottlieb, dem Matejko als seinem Lieb 
lingsschüler einen Arbeitsplatz im eigenen Atelier ein 
räumte, mußte diesem übermächtigen Einfluß wie einer 
Hypnose unterliegen. Auch er wollte sich als Pole und 
nur als Pole fühlen, auch in ihm flammte verwegen und 
voller Pracht ein romantischer Traum auf: auch ein 
Schlachzize der Kunst begeistert dem Vaterlande zu 
dienen. Damals malte Gottlieb seine starken und feier 
lichen Historienbilder: „Der Eid Kosciuskos in Krakau“, 
„König Johann Sobieski empfängt die österreichischen 
Abgeordneten“, „Bolesiaus der Tapfere vor Kiew“, „Die 
inflantischen Abgeordneten huldigen dem König Sieg 
mund August“ usw. Schon hier die unglaubliche Sicherheit 
in der Komposition; schon' hier die meisterliche Be 
herrschung der Massen und zugleich die höchstpersön 
liche Lebendigkeit jeder Einzelfigur. 
Aber eines Tages kam es auf der Akademie zu 
Krakau zu einer peinlichen Szene: die Details sind nicht 
bekannt; aber soviel steht fest, daß Gottlieb die Aka 
demie verlassen mußte. Mit einem einzigen brutalen 
Griff wurde der sensiblen und hilflosen Seele Gottliebs 
das prunkvolle Schlachzizenkostüm herabgerissen. Die 
Brücke der Assimilierung war mitten entzweigebrochen. 
Gottlieb reiste zunächst nach München und wurde 
Schüler von Piloty. Wie Matejko, so prophezeite 
auch Piloty dem Jüngling eine Zukunft voll Glanz und 
Ruhm. Das Jahr in München -— 1876— wird Gottlieb Ä 
zu einer Uebergangsperiode, soweit man davon bei 
einem Leben sprechen kann, das in seiner erschüttern 
den Gesamtheit nichts ist als ein jählings abgerissener
	        
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