der Jugend, als Schriftsteller. Im öffentlichen Leben hat Ferstel eine reiche vielseitige
Thätigkeit entwickelt; er war der Mittelpunkt seiner zahlreichen und liebenswürdigen
Familie. Alle diese Punkte müssen erörtert werden, soll das Bild des Künstlers in seinen
Flauptumrissen deutlich vor unsere Seele treten.
Die Bauten, welche Ferstel in den letzten Jahren durchgeführt hat, sind eben
so zahlreich als mannigfaltig.
Mit den Entwürfen einiger dieser Bauten hat sich Ferstel schon in den Jahren
vor der Einweihung der Votivkirche beschäftigt. Die Anzahl der Baudenkmale, die
von ihm in der letzten Zeit seines Lebens projectirt und ausgeführt wurden, ist sehr
gross; es gibt kaum einen zweiten Architekten der Gegenwart, dessen Thätigkeit eine
so productive gewesen ist. Ihm kam dabei die Leichtigkeit der künstlerischen Com-
position zu statten und seine ungewöhnliche Fertigkeit im Zeichnen. War er sich
einmal über einen Entwurf klar, so brauchte er nur kurze Zeit, um die Ideen, welche
seinen Geist erfüllten, zum sichtbaren Ausdruck zu bringen. In der letzten Zeit
seines künstlerischen Schaffens ist es ihm klar geworden, dass für Profanbauten die
Bauformen der italienischen Renaissance den Bedürfnissen der modernen Gesellschaft
am besten entsprechen. Bei kirchlichen Bauten hat er aber fortwährend an dem
gothischen Stil festgehalten, weil er überzeugt war, dass dieser Stil für den Cultus
der katholischen Kirche der bei Weitem geeignetste ist.
In der hier zu besprechenden Periode seiner künstlerischen Thätigkeit ist ihm
weiter keine Gelegenheit geboten worden, gothische Kirchenbauten auszuführen, und
es hat den Erbauer der Votivkirche schmerzlich berührt, dass er von der katholischen
Geistlichkeit seines Vaterlandes so wenig beachtet wurde. Zwar wurde ihm vom
Kaiser der Auftrag gegeben, den Entwurf für eine Kathedrale in Serajewo anzu
fertigen, aber zur Durchführung des Baues ist es nicht gekommen, weil die Geld
mittel hiefür nicht ausreichend vorhanden waren. In den letzten Jahren vor seinem
Tode wurde ihm von einem Freunde der katholischen Kirche in England, Sir Tatton
Sykes in Sledmere (York), der Auftrag zu Theil, eine gothische Kirche ähnlich der
Votivkirche zu bauen. Ursprünglich handelte es sich um den Bau einer solchen Kirche
auf dem Landsitze des Sir Tatton in der Grafschaft York.
Die Art, wie Sir Tatton die Bekanntschaft mit Ferstel angeknüpft hat, ist
ebenso charakteristisch für- den Künstler wie für den englischen Kunstfreund. Letz
terer hatte bereits längere Zeit Europa bereist, um irgend einen modernen Kirchenbau
zu finden, der ihm gefiele und der als Vorbild für jene Kirche zu dienen hätte, die
auf seinem Landsitz erbaut werden sollte.
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