in der Regel erft in der Gefellenzeit das erlernen, was fie hätten
als Lehrlinge erfahren tollen. Es darf immerhin fchon als ein
perfönlicbes Glück angefehen werden, wenn ein folcher junger
Menfch na* feiner Freifprechung in wirklich anftändige Meifter=
hände kommt und Gelegenheit findet, das Verfäumte nachzuholen.
Vielen bleibt die Gelegenheit verfchloffen und bei den meiften ift
der Schiffbruch im Leben die Folge einer unglücklichen Lehrzeit.
In einer nichtbegüterten Familie, wo mehrere Söhne find, ift
es trotjdem heute noch ausgemacht, daß einer von den Jungen
ein Handwerk lernt. Vielleicht findet der Junge eine im land
läufigen Sinne gute Lehre, das heißt eine folche, wo er nicht
bloß für Laufburfchendienfte und Taglöbnerarbeiten ausgenu^t
wird. Er bat Wohnung und Verpflegung beim Meifter und
kommt gelegentlich an Sonntagen zum Familientifcb beim. Schon
nach wenig Wochen oder Monaten rücken die Gefchwifter von
ihm ab. Es find Veränderungen mit ihm vorgegangen, die feine
Gefellfcbaft geradezu widerwärtig machen. Er bat Husdrücke
unflätigfter Hrt, er bat Bewegungen, die gemein find. Seine
firt, etwas zu verlangen oder zu nehmen, ift roh und unfreund
lich. Man legt ihm nabe, nicht zu Tifcb zu kommen. Nur die
Mutter hat ein großes Herz. Sie bewirtet ihn, wenn er kommt,
in der Küche, die Gefchwifter aber vermeiden es, ihn zu feben.
Der Junge bat die dunkle Empfindung, daß er fich eine hoch
mütige Behandlung nicht gefallen laffen dürfe. Er läßt fich
immer feltener feben und fcbließlicb gar nicht mehr. Woher
das? Die oft ganz unglaubliche Roheit der Gefeiten, gemeiner
Schimpf und oftmals Schläge find nicht die Erziehungmittel,
die einen Knaben zum Kunftbandwerker machen können. Die
Gefeiten haben es in ihrer Jugend nicht beffer gehabt. Huch fie
find verhärtet und neigen zur Wiedervergeltung. Warum foll
es der Lebrjunge beute beffer haben? □
Was nütjen alle vorgefcblagenen Mittel zur Hbbilfe des
Lebrlingsmangels, die Lebrlingsvermitttungsftellen, Hufrufe an
die Eltern und eine ähnliche Propaganda, wenn bei einem
großen Teil des Handwerkerftandes das etbifcbe Bewußtfein
fehlt, daß dem Lehrling gegenüber nicht fo febr Rechte,
fondern vor altem Pflichten zu erfüllen find? Der Klageruf auf
dem Kongreß, daß die Lehrlinge immer feltener werden, ent-
fprang nicht der großen Huffaffung, daß es zu den Pflichten
jedes Gewerbetreibenden gehöre, auch mit eigenen Opfern für
einen veredelten Nachwuchs zu forgen, fondern der Klageruf
kam aus dem kleinlichen egoiftifcben Intereffe, das in dem
Lehrling vor allem eine billige Handlangerkraft fiebt. Hier fi^t
der Haken. Es ift abfurd, für den Lebrlingsmangel die Kunft-
gewerbefcbulen verantwortlich zu machen, wie es auf dem
Düffeldorfer Kongreß gefcbeben ift. Die Zöglinge der Kunftge-
werbefcbulen werden in der Hauptfache für die Lebrlingspraxis
überhaupt nicht in Frage kommen, auch wenn es Kunftgewerbe-
fcbulen nicht gäbe. Man kann gegen den Dilettantismus der
Kunftgewerbefchule febr viel einwenden und mit Recht die
größeren Vorzüge der Meifterlebre dagegen geltend machen,
aber es ift bei der heutigen Huffaffung der menfcblicben Dinge
niemandem zuzumuten, eine drei- oder vierjährige Lehrzeit in
fchlecbter Behandlung und zum großen Teil in Handlanger- und
Laufburfchenarbeit zuzubringen. Von einer folcben Erziehung
ift für den künftigen Mann und Fachmann nichts zu erwarten.
In Staaten mit völliger Gewerbefreibeit, wie z. B. in Hmerika,
befteben praktifcbe Handwerkerfchulen, in denen jedes Hand
werk binnen fünf Monaten gelehrt werden kann. Die Routine
ergibt fich allerdings erft in der Praxis, aber was tut das? Der
junge Mann bat eine drei- oder vierjährige Lehrzeit erfpart
und in den fünf Monaten ficberlich mehr gelernt, als die meiften
unterer Lehrlinge. Vor allem aber bat er die demoralifierende
Wirkung der bei uns eingewurzelten Mißftände nicht koften
müffen. Hier hilft nichts als rückbaltlofe Hufrichtigkeit. Das
Handwerk felbft ift an dem Lehrlingsmangel fchuld. Lehrlinge
zu erziehen, das beißt für einen bocbftebenden Nachwuchs zu
forgen, ift keine leichte und vor allem auch keine billige Huf
gabe. Nur ein Beruf, der durch hohe Leiftungsfäbigkeit fein
foziales Hnfeben gefteigert bat, ift diefer Hufgabe gewachfen.
Weder Staatskontrolle, noch Polizeimaßregeln, noch Unter
drückung der Schulen oder ähnliche rückfcbrittlicbe Tendenzen
können dem Lebrlingsmangel Einhalt gebieten, fondern nur
eine hohe etbifcbe Huffaffung und eine vorurteilsfreie perfönlicbe
Initiative im Handwerk felbft kann der Gefahr Vorbeugen. □
Hier liegt nichts Unmögliches vor. Gerade in den lebten
Jahren wieder find die Leiftungen des Handwerks fo im Hn
feben geftiegen, daß fein Vorzug vor der bloß balbwiffenfcbaft-
liehen Bildung ohne weiteres wieder anerkannt wird. OCKHMH
KNOOP drückt es draftifcb aus: »Jeder Knabe, der die Wiffen-
febaften ftudiert, follte daneben ein Handwerk lernen, damit er
fich doch auch einmal geiftig betätigen kann.« Diefes Hnfehen
der Handwerksarbeit, die nach und nach wieder in den Mittel
punkt der allgemeinen Bildung rückt, ift allerdings nicht vom
Handwerk felbft aus bewirkt worden, fondern von folcben, die
urfprünglich außerhalb des Handwerks ftanden und fich mit
einer reifen menfcblicben Bildung dem Handwerk zugewandt
haben. Durch diefe Erneuerer des Kunftbandwerkes, die eigent
lich Outfiders find, haben die handwerklichen Edelberufe eine
neue geiftige Grundlage empfangen. □
Diefes geiftige Fluidum, das von folcben Erneuerern des Kunft-
handwerkes ausging, bewirkte in der ganzen Welt eine ge-
fteigerte Huffaffung von dem Hdel des Handwerks. Diefe geiftige
Bewegung wird es dabin bringen, daß auch die gefcbilderten
Mißftände überwunden werden. Freilich wird dies auf eine
andere Weife gefcbeben, als es die rückfcbrittlicbe Tendenz auf
dem Fachverbandskongreß vorausfiebt. Wir alle, die ganze
Öffentlichkeit, der Staat und die Gefellfcbaft, haben ein lebendiges
Intereffe daran, daß alle Edelberufe im Handwerk die unent
behrliche etbifcbe Grundlage gewinnen und wieder als eigent
liche Kulturträger der Stolz und die Freude der Handwerksan-
gehörigen find, wie es im alten Nürnberg der Fall gewefen.
Dazu aber gehört, daß der ganze Umfang moderner Bildung
ohne jede engherzige, zünftlerifche Einfchränkung mit dem Hand
werk verbunden werde. Um es kurz auszudrücken, eine Er
neuerung der geiftigen Grundlage ift nötig, wenn die wirtfebaft-
licben und geiftigen Intereffen auf die Dauer geftärkt werden follen.
So febr die Mutter recht batte, der Sohn foll etwas befferes
werden, fo traurig ift es, daß diefes beffere etwas anderes fein
folle, als ein edles Handwerk. Nein, ein Kunftbandwerk oder
überhaupt nur ein anftändiges Handwerk lernen und ausüben
ift das befte, was wir allen Jungen wünfehen können. □
Glücklicherweife können wir den vorher gefcbilderten Schatten
feiten freundliche Bilder entgegenftellen, die als Beifpiel ihren
erziehenden Wert nicht verfehlen werden. In modern geleiteten
Betrieben wäcbft die Sorge für einen veredelten Nachwuchs.
Da es am erfprießlicbften ift, Erfahrungen mitzuteilen, fo will
ich hier in einigen Zügen das Programm einer Lebrlings-
fchule anfübren, die in Verbindung mit den DRESDENER
WERKSTÄTTEN FÜR HANDWERKSKUNST ins Leben ge
rufen wurde. Die Schule ift zunäcbft für die Lehrlinge des
eigenen Betriebes eingerichtet, doch ift daran gedacht, daß
auch die Gehilfen daran teilnebmen können und Lehrlinge
anderer kleinerer Werkftätten von der Beteiligung an dem
Unterricht nicht ausgefcbloffen find. Die Lehrlinge arbeiten
während einer dreijährigen Lehrzeit täglich von fieben bis fünf Uhr
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