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fullscreen: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

in der Regel erft in der Gefellenzeit das erlernen, was fie hätten 
als Lehrlinge erfahren tollen. Es darf immerhin fchon als ein 
perfönlicbes Glück angefehen werden, wenn ein folcher junger 
Menfch na* feiner Freifprechung in wirklich anftändige Meifter= 
hände kommt und Gelegenheit findet, das Verfäumte nachzuholen. 
Vielen bleibt die Gelegenheit verfchloffen und bei den meiften ift 
der Schiffbruch im Leben die Folge einer unglücklichen Lehrzeit. 
In einer nichtbegüterten Familie, wo mehrere Söhne find, ift 
es trotjdem heute noch ausgemacht, daß einer von den Jungen 
ein Handwerk lernt. Vielleicht findet der Junge eine im land 
läufigen Sinne gute Lehre, das heißt eine folche, wo er nicht 
bloß für Laufburfchendienfte und Taglöbnerarbeiten ausgenu^t 
wird. Er bat Wohnung und Verpflegung beim Meifter und 
kommt gelegentlich an Sonntagen zum Familientifcb beim. Schon 
nach wenig Wochen oder Monaten rücken die Gefchwifter von 
ihm ab. Es find Veränderungen mit ihm vorgegangen, die feine 
Gefellfcbaft geradezu widerwärtig machen. Er bat Husdrücke 
unflätigfter Hrt, er bat Bewegungen, die gemein find. Seine 
firt, etwas zu verlangen oder zu nehmen, ift roh und unfreund 
lich. Man legt ihm nabe, nicht zu Tifcb zu kommen. Nur die 
Mutter hat ein großes Herz. Sie bewirtet ihn, wenn er kommt, 
in der Küche, die Gefchwifter aber vermeiden es, ihn zu feben. 
Der Junge bat die dunkle Empfindung, daß er fich eine hoch 
mütige Behandlung nicht gefallen laffen dürfe. Er läßt fich 
immer feltener feben und fcbließlicb gar nicht mehr. Woher 
das? Die oft ganz unglaubliche Roheit der Gefeiten, gemeiner 
Schimpf und oftmals Schläge find nicht die Erziehungmittel, 
die einen Knaben zum Kunftbandwerker machen können. Die 
Gefeiten haben es in ihrer Jugend nicht beffer gehabt. Huch fie 
find verhärtet und neigen zur Wiedervergeltung. Warum foll 
es der Lebrjunge beute beffer haben? □ 
Was nütjen alle vorgefcblagenen Mittel zur Hbbilfe des 
Lebrlingsmangels, die Lebrlingsvermitttungsftellen, Hufrufe an 
die Eltern und eine ähnliche Propaganda, wenn bei einem 
großen Teil des Handwerkerftandes das etbifcbe Bewußtfein 
fehlt, daß dem Lehrling gegenüber nicht fo febr Rechte, 
fondern vor altem Pflichten zu erfüllen find? Der Klageruf auf 
dem Kongreß, daß die Lehrlinge immer feltener werden, ent- 
fprang nicht der großen Huffaffung, daß es zu den Pflichten 
jedes Gewerbetreibenden gehöre, auch mit eigenen Opfern für 
einen veredelten Nachwuchs zu forgen, fondern der Klageruf 
kam aus dem kleinlichen egoiftifcben Intereffe, das in dem 
Lehrling vor allem eine billige Handlangerkraft fiebt. Hier fi^t 
der Haken. Es ift abfurd, für den Lebrlingsmangel die Kunft- 
gewerbefcbulen verantwortlich zu machen, wie es auf dem 
Düffeldorfer Kongreß gefcbeben ift. Die Zöglinge der Kunftge- 
werbefcbulen werden in der Hauptfache für die Lebrlingspraxis 
überhaupt nicht in Frage kommen, auch wenn es Kunftgewerbe- 
fcbulen nicht gäbe. Man kann gegen den Dilettantismus der 
Kunftgewerbefchule febr viel einwenden und mit Recht die 
größeren Vorzüge der Meifterlebre dagegen geltend machen, 
aber es ift bei der heutigen Huffaffung der menfcblicben Dinge 
niemandem zuzumuten, eine drei- oder vierjährige Lehrzeit in 
fchlecbter Behandlung und zum großen Teil in Handlanger- und 
Laufburfchenarbeit zuzubringen. Von einer folcben Erziehung 
ift für den künftigen Mann und Fachmann nichts zu erwarten. 
In Staaten mit völliger Gewerbefreibeit, wie z. B. in Hmerika, 
befteben praktifcbe Handwerkerfchulen, in denen jedes Hand 
werk binnen fünf Monaten gelehrt werden kann. Die Routine 
ergibt fich allerdings erft in der Praxis, aber was tut das? Der 
junge Mann bat eine drei- oder vierjährige Lehrzeit erfpart 
und in den fünf Monaten ficberlich mehr gelernt, als die meiften 
unterer Lehrlinge. Vor allem aber bat er die demoralifierende 
Wirkung der bei uns eingewurzelten Mißftände nicht koften 
müffen. Hier hilft nichts als rückbaltlofe Hufrichtigkeit. Das 
Handwerk felbft ift an dem Lehrlingsmangel fchuld. Lehrlinge 
zu erziehen, das beißt für einen bocbftebenden Nachwuchs zu 
forgen, ift keine leichte und vor allem auch keine billige Huf 
gabe. Nur ein Beruf, der durch hohe Leiftungsfäbigkeit fein 
foziales Hnfeben gefteigert bat, ift diefer Hufgabe gewachfen. 
Weder Staatskontrolle, noch Polizeimaßregeln, noch Unter 
drückung der Schulen oder ähnliche rückfcbrittlicbe Tendenzen 
können dem Lebrlingsmangel Einhalt gebieten, fondern nur 
eine hohe etbifcbe Huffaffung und eine vorurteilsfreie perfönlicbe 
Initiative im Handwerk felbft kann der Gefahr Vorbeugen. □ 
Hier liegt nichts Unmögliches vor. Gerade in den lebten 
Jahren wieder find die Leiftungen des Handwerks fo im Hn 
feben geftiegen, daß fein Vorzug vor der bloß balbwiffenfcbaft- 
liehen Bildung ohne weiteres wieder anerkannt wird. OCKHMH 
KNOOP drückt es draftifcb aus: »Jeder Knabe, der die Wiffen- 
febaften ftudiert, follte daneben ein Handwerk lernen, damit er 
fich doch auch einmal geiftig betätigen kann.« Diefes Hnfehen 
der Handwerksarbeit, die nach und nach wieder in den Mittel 
punkt der allgemeinen Bildung rückt, ift allerdings nicht vom 
Handwerk felbft aus bewirkt worden, fondern von folcben, die 
urfprünglich außerhalb des Handwerks ftanden und fich mit 
einer reifen menfcblicben Bildung dem Handwerk zugewandt 
haben. Durch diefe Erneuerer des Kunftbandwerkes, die eigent 
lich Outfiders find, haben die handwerklichen Edelberufe eine 
neue geiftige Grundlage empfangen. □ 
Diefes geiftige Fluidum, das von folcben Erneuerern des Kunft- 
handwerkes ausging, bewirkte in der ganzen Welt eine ge- 
fteigerte Huffaffung von dem Hdel des Handwerks. Diefe geiftige 
Bewegung wird es dabin bringen, daß auch die gefcbilderten 
Mißftände überwunden werden. Freilich wird dies auf eine 
andere Weife gefcbeben, als es die rückfcbrittlicbe Tendenz auf 
dem Fachverbandskongreß vorausfiebt. Wir alle, die ganze 
Öffentlichkeit, der Staat und die Gefellfcbaft, haben ein lebendiges 
Intereffe daran, daß alle Edelberufe im Handwerk die unent 
behrliche etbifcbe Grundlage gewinnen und wieder als eigent 
liche Kulturträger der Stolz und die Freude der Handwerksan- 
gehörigen find, wie es im alten Nürnberg der Fall gewefen. 
Dazu aber gehört, daß der ganze Umfang moderner Bildung 
ohne jede engherzige, zünftlerifche Einfchränkung mit dem Hand 
werk verbunden werde. Um es kurz auszudrücken, eine Er 
neuerung der geiftigen Grundlage ift nötig, wenn die wirtfebaft- 
licben und geiftigen Intereffen auf die Dauer geftärkt werden follen. 
So febr die Mutter recht batte, der Sohn foll etwas befferes 
werden, fo traurig ift es, daß diefes beffere etwas anderes fein 
folle, als ein edles Handwerk. Nein, ein Kunftbandwerk oder 
überhaupt nur ein anftändiges Handwerk lernen und ausüben 
ift das befte, was wir allen Jungen wünfehen können. □ 
Glücklicherweife können wir den vorher gefcbilderten Schatten 
feiten freundliche Bilder entgegenftellen, die als Beifpiel ihren 
erziehenden Wert nicht verfehlen werden. In modern geleiteten 
Betrieben wäcbft die Sorge für einen veredelten Nachwuchs. 
Da es am erfprießlicbften ift, Erfahrungen mitzuteilen, fo will 
ich hier in einigen Zügen das Programm einer Lebrlings- 
fchule anfübren, die in Verbindung mit den DRESDENER 
WERKSTÄTTEN FÜR HANDWERKSKUNST ins Leben ge 
rufen wurde. Die Schule ift zunäcbft für die Lehrlinge des 
eigenen Betriebes eingerichtet, doch ift daran gedacht, daß 
auch die Gehilfen daran teilnebmen können und Lehrlinge 
anderer kleinerer Werkftätten von der Beteiligung an dem 
Unterricht nicht ausgefcbloffen find. Die Lehrlinge arbeiten 
während einer dreijährigen Lehrzeit täglich von fieben bis fünf Uhr 
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