hunderts, auch noch der Renaissance mit alter, mehrfarbiger Bemalung
erhalten. Aber selbst wenn sich erweisen ließe, daß die Farbigkeit wirklich
ursprünglich war, was schwierig zu erkennen ist, so würden diese vereinzelten
Stücke nichts gegen die durchgängige Farblosigkeit der geschnitzten gotischen
Möbel beweisen können. Denn für die Farblosigkeit sprechen die zahlreichen
Abbildungen gotischer Stollenschränke, Bänke, Truhen auf deutschen und
niederländischen Gemälden des XV. Jahrhunderts. Sie zeigen alle den hell-
braunen, natürlichen Ton des gefirnißten Eichenholzes als den Urzustand,
wie er auch an dem Pult und der Orgel auf dem Genter Altar der van Eyck
zu sehen ist. Die zeitgenössischen Gemälde sind die einzigen einwandfreien
Zeugen für den Urzustand der gotischen Möbel; gegen ihre Glaubwürdigkeit
können die in jahrhundertlangem Gebrauch veränderten Möbel selbst nicht
aufkommen.
RICHARD jAKlTSCH 50-
VON RUDOLF AMESEDER-GRAZ St.
IE Plastik ist ein künstlerisches Stiefkind unserer Zeit.
Wenn man auf die hervorragende Stellung zurück-
" blickt, die sie irn Kunstleben der Antike eingenom-
men hat, wenn man bedenkt, daß die Dekoration
architektonischer und kunstgewerblicher Schöp-
fungen des Mittelalters und der Renaissance noch
eine vorzugsweise plastische war, während heute
das abstrakte Ornament und die Malerei kaum
für etwas anderes Platz lassen, dann könnte man
leicht auf den Gedanken kommen, daß die Plastik
eine unmoderne Kunstart sei. Allein, was die
antike Welt an malerischen Leistungen besessen hat, ist in viel unvollkom-
menerem Maße auf uns gekommen als ihr Skulpturenschatz; unser Bild von
antiker Kunst ist also einseitig und würde bei genauerer Kenntnis gewiß
nicht in solchem Maß für die Bevorzugung der Plastik sprechen. Auch von
mittelalterlicher Malerei haben Zeit und Bilderstürme das meiste hinweg-
gefegt. Immerhin ist die Tatsache nicht wegzuleugnen, daß die Bildhauer-
kunst in unserer Zeit, wenigstens was die Ausdehnung ihres Schaffensgebiets
anlangt, einen erheblich geringeren Spielraum hat.
Wirtschaftliche Gründe für kunstgeschichtliche Wandlungen anzugeben,
bleibt in den meisten Fällen ein recht unerquickliches Auskunftsmittel. Allein
für das Zurücktreten der Skulptur in unserer Zeit scheinen die wirtschaftlichen
Gründe tatsächlich ausschlaggebend zu seinf" Daß unsere Zeit keinen Mangel
an künstlerischen Kräften habe, die auf plastischem Gebiet Leistungen zu ver-
zeichnen hätten, Leistungen die sich den Besten der Vergangenheit an die
" Strzygowski (Die bildende Kunst der Gegenwart, 1907, Seite 95 H.) macht dafür das vorherrschende
Interesse an der Landschaft gegenüber dem an der menschlichen Gestalt verantwortlich.