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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

PETER BEHRENS 
DIE VERPFLICHTUNG HÖRT NIEMALS AUF, KÜNSTLERISCH BEDEUT« 
SAME ERSCHEINUNGEN ZU WÜRDIGEN. GEWISS IST IN DEN MEI* 
STEN FÄLLEN DAS SOGENANNTE »SACHLICHE MOMENT« WICHTIGER 
ALS DIE BETONUNG DER EINZELLEISTUNG; ABER ES GIBT GLÜCK« 
LICHERWEISE ERSCHEINUNGEN, WO DAS GEGENTEIL ZUTRIFFT. 
eifc und Abgeklärtheit ift in den lebten und neueften 
Werken des Künftlers, die kühle Ruhe des Klaffizismus, 
die Goetheiftf) anmutet, bei aller Modernität. So erlebt 
der Künftler von heute, der nicht nachahmt, fondern fehöpferifeb 
wirkt, den Geift der Antike. Seine Werke möchten die fub« 
jektive Stimmung des Tages abftreifen und bewußtvoll dem 
bellenifchen Geift des einfach Monumentalen zuftreben. □ 
Alle neuen Ornamentkünftler, die fich dem Kunftgewerbe 
und der Architektur zugewendet hatten, haben fcbließlicb die 
Fülle des Ausdruckes erkannt, die in der Einfachheit liegt. Als 
die erften Werke auftauchten, vor mehr als zehn Jahren, die 
Möbel, die Tapeten, dieGläfer, die Beleuchtungskörper, die Wand« 
dekorationen und Glasfenfter, berrfchte das zügellofe Tempera« 
ment, das fich dyonififcb geberdete, in Erfindungen febäumend, 
genial im Irrtum und verzerrt bis zum Gefdbmacklofen im Hervor« 
bringen, wie es einer Epoche entfpricht, der jeder Maßftab fehlt. 
Die Epoche hat ihre Diktatoren, ihre Gewalthaber, die den anderen 
ihre vorübergehende Herrfchaft aufdrängen. Die Architekturen 
und kunftgewerblichen Hervorbringungen der wilden Jahre 
■' kennen keinen anderen Maßftab, als den der gewaltfam hervor» 
gekehrten Subjektivität, aber die erfahrungsfehweren fpäteren 
Jahre fehen fie befcheidener werden und künftlerifche Gefetje 
auffuchen, die als unverletzlich felbft von den kühnften Individual!« 
täten refpektiert werden. Je mehr das Schaffen in diefer interef« 
fanten Entwicklung fich der gnadenlofen Tageshelle des gegen 
wärtigen Zenits nähert, defto mehr febwindet das Wilde, trium« 
phiert das fcblecbthin Einfache und Große und fucht den formalen 
Zufammenhang mit dem unauffälligen und fchmucklofen Alltag. 
Und die Werke, die über dem Alltag fteben, fuchen zum Teil 
ihre Selbftändigkeit innerhalb der Perfpektiven, die in dem 
Klaffifchen als der Verkörperung der unvergänglichen Gefefje 
der Schönheit gipfeln. Im Wege der Abftraktion haben die 
Künftler diefen Anfchluß gefunden. □ 
t Auf diefem Wege ift PETER BEHRENS aus feinen wirren 
Anfängen zu jener geläuterten Gefe^mäßigkeit gekommen, in 
der der Schimmer eines apolinifchen Kunftideals dämmert- 
Diefer Künftler, der durch fein Denken ftark ift, logifch und 
konfequent, hat in der verhältnismäßig kurzen Zeit von zehn 
Jahren einen ungeheuren Weg zurückgelegt. Der Abftand ift 
enorm, der das heutige Architekturfchaflfen des Künftlers von 
den Anfängen trennt, die aus der Münchener Zeit bekannt 
geworden find, da er als Maler in feinen Porträts und in den 
etwas fcbwerfälligen fymbolifchen Wandgemälden den Ornament» 
künftler zu offenbaren anfing, und viel fpäter noch, ehe es ihm 
gelungen war, einen ungelöften Reft von naturaliftifcher Natur« 
nachbildung in die höhere Sphäre des Stils zu übertragen. 
Lange gebt diefer Bruch durch feine Werke, diefer offenkundige 
Widerfprucb zwifchen Können und Wollen, diefes verzweifelte 
Ringen, da noch ein hemmender Rückftand der realiftifch nach» 
gebildeten Form die Freiheit und Harmonie feiner auf Stileinbeit 
gerichteten Schöpfungen befebwerte. Aber in diefem febweren 
Ringen gewann der Künftler die Oberhand und erreichte eine 
Höbe, die ihn weit hinaushebt, ja die ihn auf den verfchiedenen 
Etappen feines Aufftieges völlig verwandelt, feine fpätere künft« 
lerifcbe Pbyfiognomie der früheren gänzlich unähnlich macht. 
In den halb bildhaft, halb ornamental wirkenden dekorativen 
Arbeiten mit den keineswegs glücklichen Pflanzenftilifierungen 
der Münchener Zeit, in dem oft unmotivierten, gewaltfamen Zu« 
fammenfügen naturaliftifcb figürlicher und ftiliftifch ornamentaler 
Elemente findet fich noch keine leife Andeutung des fpäteren 
Künftlers, der die Harmonie der Raumabftraktionen, die Schönheit 
rhythmifcher Flächenverbältniffe, das überfinnliche, rein geiftige 
Element der arcbitekturalen Harmonie als einer organifchen Rbyth« 
mik von Raumgrößen fo vollkommen ergriffen hat, daß er die Linie 
in Form eines ftreng geometrifierenden Ornaments nur mehr dazu 
gebraucht, diefe abftrakte Schönheit des Räumlichen zu unter« 
ftreicben und dadurch zu verfinnlichen. Aber gerade diefer ge« 
waltige Abftand zwifchen den Schaffenspolen feiner zehnjährigen 
Arbeit verraten die ungewöhnliche geiftige Spannkraft des Künft« 
lers, die Stärke feines Intellekts, die umfaffende Herrfchaft feines 
Architekturwillens, der alle Elemente vom Druckfpiegel und Buch« 
einband bis zum Monumentalbau, Theater, Kirche, Krematorium 
und Gartenarchitektur einheitlich und barmonifch geftalten möchte. 
Die Leiftungen des Künftlers in der erften Etappe vor feiner 
Berufung nach Darmftadt haben relativen Wert und find nur 
entwicklungsgefchichtlich intereffant, gteiebfam als Gradmeffer 
für die weitere künftlerifche Entfaltung der Perfönlicbkeit; fie 
zeigen aber auch, daß der Künftler von vornherein, als er die 
Malerei verließ, auf dem Gebiet der angewandten Kunft nach 
Univerfalität ftrebte und auf allen Gebieten nach dem Grad 
feiner damaligen Erkenntniffe und Gefchmackshöbe in Deutfcb- 
land anregend zu wirken fuebte. Mit feiner Berufung nach 
Darmftadt, die ihn fofort auf ein höheres Niveau ftellt und vor 
eine praktifche Architekturaufgabe fetzt, den Bau und die Ein« 
Achtung feines Kaufes auf der Mathildenhöbe, tritt die zweite 
Etappe feines künftlerifcben Aufftieges ein. Es ift gleichgültig, 
welche Einflüffe und Vorbilder fich bei ihm geltend machen, 
aber in dem Ausfteltungsjabr 1901 der Darmftädter Künftler« 
kolonie treten in feinen Leiftungen bereits die feine weitere 
Entwicklung beftimmenden Züge nach dem Einfachen, fcblicbt 
Monumentalen hin, bedeutfam hervor. Dort batte er einen 
vollftändigen architektonifchen Organismus durchzubilden; fein 
damaliges Darmftädter Haus, mit den ungeteilten kräftigen Leit» 
linien aus ftumpfem, rotbraunem Steinzeug in das wirkungs« 
voll behandelte Dachgebilde überführend, ift bekannt und merk« 
würdig durch den ungewöhnlichen Grad von monumentaler 
Feierlichkeit, die allerdings febwer und wuchtig auf dem Wohn« 
gebäude laftet. Aber der Künftler mußte feiner Abficht gerecht 
werden und ein Ganzes durchbilden, das im Innern des Kaufes 
in einer myftifchen Ornamentik ausklingt, die eine Neigung zur 
geometrifchen Strenge ausdrückt und ihre Feierlichkeit durch 
fchwere Töne erhöht. Der Ernft ruht febwer und wuchtig in den 
Räumen und auf den Möbeln und zwingt alle Formen in die 
ftarre Einheit feines monumentalen Gedankens. Was fich frei 
und leicht geben möchte, ift gezwungen, gedrungen und würde 
voll dazufteben, jede Form ift belaftet mit dem wuchtigen Ge» 
danken an das Ganze, und jeder Gedanke ruht würdevoll, wie 
auf einem Säulenpoftament. Die herbe Strenge diefes Künftler« 
naturells umfchließt eine weiche, empfindfame Seele. Sie befitzt 
eine Paffivität, die fich leicht einem fremden Machtgebot unter 
wirft, wenngleich fie neben diefer Empfänglichkeit die Kraft 
der Disziplin befitzt, die Fremdes in Eigenes verwandelt. Die 
geniale Überlegenheit VAN DE VELDE 3 hat bis dabin manche 
Spuren in dem Schaffen des Künftlers binterlaffen, was nicht 
zu verkennen ift, wenn auch der Künftler diefes fremde Erz 
umgefchmiedet und gehärtet hat. Bald aber kommt neuer Fluß 
in die ftarren Formen und eine dritte Etappe feines Entwick 
lungsganges ift erkennbar, als er Darmftadt hinter fich bat und 
in Düffeldorf die Kunftgewerbefcbule organifiert. Dann aber 
ift van de Velde aus feinem Empfindungskreis ausgefcbaltet, 
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