PETER BEHRENS
DIE VERPFLICHTUNG HÖRT NIEMALS AUF, KÜNSTLERISCH BEDEUT«
SAME ERSCHEINUNGEN ZU WÜRDIGEN. GEWISS IST IN DEN MEI*
STEN FÄLLEN DAS SOGENANNTE »SACHLICHE MOMENT« WICHTIGER
ALS DIE BETONUNG DER EINZELLEISTUNG; ABER ES GIBT GLÜCK«
LICHERWEISE ERSCHEINUNGEN, WO DAS GEGENTEIL ZUTRIFFT.
eifc und Abgeklärtheit ift in den lebten und neueften
Werken des Künftlers, die kühle Ruhe des Klaffizismus,
die Goetheiftf) anmutet, bei aller Modernität. So erlebt
der Künftler von heute, der nicht nachahmt, fondern fehöpferifeb
wirkt, den Geift der Antike. Seine Werke möchten die fub«
jektive Stimmung des Tages abftreifen und bewußtvoll dem
bellenifchen Geift des einfach Monumentalen zuftreben. □
Alle neuen Ornamentkünftler, die fich dem Kunftgewerbe
und der Architektur zugewendet hatten, haben fcbließlicb die
Fülle des Ausdruckes erkannt, die in der Einfachheit liegt. Als
die erften Werke auftauchten, vor mehr als zehn Jahren, die
Möbel, die Tapeten, dieGläfer, die Beleuchtungskörper, die Wand«
dekorationen und Glasfenfter, berrfchte das zügellofe Tempera«
ment, das fich dyonififcb geberdete, in Erfindungen febäumend,
genial im Irrtum und verzerrt bis zum Gefdbmacklofen im Hervor«
bringen, wie es einer Epoche entfpricht, der jeder Maßftab fehlt.
Die Epoche hat ihre Diktatoren, ihre Gewalthaber, die den anderen
ihre vorübergehende Herrfchaft aufdrängen. Die Architekturen
und kunftgewerblichen Hervorbringungen der wilden Jahre
■' kennen keinen anderen Maßftab, als den der gewaltfam hervor»
gekehrten Subjektivität, aber die erfahrungsfehweren fpäteren
Jahre fehen fie befcheidener werden und künftlerifche Gefetje
auffuchen, die als unverletzlich felbft von den kühnften Individual!«
täten refpektiert werden. Je mehr das Schaffen in diefer interef«
fanten Entwicklung fich der gnadenlofen Tageshelle des gegen
wärtigen Zenits nähert, defto mehr febwindet das Wilde, trium«
phiert das fcblecbthin Einfache und Große und fucht den formalen
Zufammenhang mit dem unauffälligen und fchmucklofen Alltag.
Und die Werke, die über dem Alltag fteben, fuchen zum Teil
ihre Selbftändigkeit innerhalb der Perfpektiven, die in dem
Klaffifchen als der Verkörperung der unvergänglichen Gefefje
der Schönheit gipfeln. Im Wege der Abftraktion haben die
Künftler diefen Anfchluß gefunden. □
t Auf diefem Wege ift PETER BEHRENS aus feinen wirren
Anfängen zu jener geläuterten Gefe^mäßigkeit gekommen, in
der der Schimmer eines apolinifchen Kunftideals dämmert-
Diefer Künftler, der durch fein Denken ftark ift, logifch und
konfequent, hat in der verhältnismäßig kurzen Zeit von zehn
Jahren einen ungeheuren Weg zurückgelegt. Der Abftand ift
enorm, der das heutige Architekturfchaflfen des Künftlers von
den Anfängen trennt, die aus der Münchener Zeit bekannt
geworden find, da er als Maler in feinen Porträts und in den
etwas fcbwerfälligen fymbolifchen Wandgemälden den Ornament»
künftler zu offenbaren anfing, und viel fpäter noch, ehe es ihm
gelungen war, einen ungelöften Reft von naturaliftifcher Natur«
nachbildung in die höhere Sphäre des Stils zu übertragen.
Lange gebt diefer Bruch durch feine Werke, diefer offenkundige
Widerfprucb zwifchen Können und Wollen, diefes verzweifelte
Ringen, da noch ein hemmender Rückftand der realiftifch nach»
gebildeten Form die Freiheit und Harmonie feiner auf Stileinbeit
gerichteten Schöpfungen befebwerte. Aber in diefem febweren
Ringen gewann der Künftler die Oberhand und erreichte eine
Höbe, die ihn weit hinaushebt, ja die ihn auf den verfchiedenen
Etappen feines Aufftieges völlig verwandelt, feine fpätere künft«
lerifcbe Pbyfiognomie der früheren gänzlich unähnlich macht.
In den halb bildhaft, halb ornamental wirkenden dekorativen
Arbeiten mit den keineswegs glücklichen Pflanzenftilifierungen
der Münchener Zeit, in dem oft unmotivierten, gewaltfamen Zu«
fammenfügen naturaliftifcb figürlicher und ftiliftifch ornamentaler
Elemente findet fich noch keine leife Andeutung des fpäteren
Künftlers, der die Harmonie der Raumabftraktionen, die Schönheit
rhythmifcher Flächenverbältniffe, das überfinnliche, rein geiftige
Element der arcbitekturalen Harmonie als einer organifchen Rbyth«
mik von Raumgrößen fo vollkommen ergriffen hat, daß er die Linie
in Form eines ftreng geometrifierenden Ornaments nur mehr dazu
gebraucht, diefe abftrakte Schönheit des Räumlichen zu unter«
ftreicben und dadurch zu verfinnlichen. Aber gerade diefer ge«
waltige Abftand zwifchen den Schaffenspolen feiner zehnjährigen
Arbeit verraten die ungewöhnliche geiftige Spannkraft des Künft«
lers, die Stärke feines Intellekts, die umfaffende Herrfchaft feines
Architekturwillens, der alle Elemente vom Druckfpiegel und Buch«
einband bis zum Monumentalbau, Theater, Kirche, Krematorium
und Gartenarchitektur einheitlich und barmonifch geftalten möchte.
Die Leiftungen des Künftlers in der erften Etappe vor feiner
Berufung nach Darmftadt haben relativen Wert und find nur
entwicklungsgefchichtlich intereffant, gteiebfam als Gradmeffer
für die weitere künftlerifche Entfaltung der Perfönlicbkeit; fie
zeigen aber auch, daß der Künftler von vornherein, als er die
Malerei verließ, auf dem Gebiet der angewandten Kunft nach
Univerfalität ftrebte und auf allen Gebieten nach dem Grad
feiner damaligen Erkenntniffe und Gefchmackshöbe in Deutfcb-
land anregend zu wirken fuebte. Mit feiner Berufung nach
Darmftadt, die ihn fofort auf ein höheres Niveau ftellt und vor
eine praktifche Architekturaufgabe fetzt, den Bau und die Ein«
Achtung feines Kaufes auf der Mathildenhöbe, tritt die zweite
Etappe feines künftlerifcben Aufftieges ein. Es ift gleichgültig,
welche Einflüffe und Vorbilder fich bei ihm geltend machen,
aber in dem Ausfteltungsjabr 1901 der Darmftädter Künftler«
kolonie treten in feinen Leiftungen bereits die feine weitere
Entwicklung beftimmenden Züge nach dem Einfachen, fcblicbt
Monumentalen hin, bedeutfam hervor. Dort batte er einen
vollftändigen architektonifchen Organismus durchzubilden; fein
damaliges Darmftädter Haus, mit den ungeteilten kräftigen Leit»
linien aus ftumpfem, rotbraunem Steinzeug in das wirkungs«
voll behandelte Dachgebilde überführend, ift bekannt und merk«
würdig durch den ungewöhnlichen Grad von monumentaler
Feierlichkeit, die allerdings febwer und wuchtig auf dem Wohn«
gebäude laftet. Aber der Künftler mußte feiner Abficht gerecht
werden und ein Ganzes durchbilden, das im Innern des Kaufes
in einer myftifchen Ornamentik ausklingt, die eine Neigung zur
geometrifchen Strenge ausdrückt und ihre Feierlichkeit durch
fchwere Töne erhöht. Der Ernft ruht febwer und wuchtig in den
Räumen und auf den Möbeln und zwingt alle Formen in die
ftarre Einheit feines monumentalen Gedankens. Was fich frei
und leicht geben möchte, ift gezwungen, gedrungen und würde
voll dazufteben, jede Form ift belaftet mit dem wuchtigen Ge»
danken an das Ganze, und jeder Gedanke ruht würdevoll, wie
auf einem Säulenpoftament. Die herbe Strenge diefes Künftler«
naturells umfchließt eine weiche, empfindfame Seele. Sie befitzt
eine Paffivität, die fich leicht einem fremden Machtgebot unter
wirft, wenngleich fie neben diefer Empfänglichkeit die Kraft
der Disziplin befitzt, die Fremdes in Eigenes verwandelt. Die
geniale Überlegenheit VAN DE VELDE 3 hat bis dabin manche
Spuren in dem Schaffen des Künftlers binterlaffen, was nicht
zu verkennen ift, wenn auch der Künftler diefes fremde Erz
umgefchmiedet und gehärtet hat. Bald aber kommt neuer Fluß
in die ftarren Formen und eine dritte Etappe feines Entwick
lungsganges ift erkennbar, als er Darmftadt hinter fich bat und
in Düffeldorf die Kunftgewerbefcbule organifiert. Dann aber
ift van de Velde aus feinem Empfindungskreis ausgefcbaltet,
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