DIE DARSTELLUNGEN DER MYSTISCHEN
EINHORNJAGD IN DER KUNST DES XV. UND
XVLJAHRHUNDERTS SIP VON ALFRED
WALCHER VON MOLTHEIN-WIEN 54h
N der unermeßlichen Zahl von Bildwerken, welche
das Leben der seligsten Jungfrau schildern -H
dieser großen Reihe, in der sich alle Vorgänge
des irdischen Lebens zusammenhäufen und mit
_ V demJenseits verknüpfen 4 wurde neben der Dar-
' , Stellung der Krippe kein Vorgang so häufig von
Künstlern aller christlichen Völker behandelt, wie
die Verkündigung Mariens. Aber auch kein an-
derer Vorgang dürfte dem Künstler Gelegenheit
geboten haben, seine Vorliebe für Architektur,
Innendekoration, für schön gemusterte Stoffe und schließlich für jugendlich
hübsche Mädchengestalten so leicht in einem Werke christlicher Tendenz
zu vereinigen als eben in diesem, wo die Figuren der Maria und des Engels
an Schönheit wetteifern konnten und sich die Szene in einem vornehmen
Gemache abspielen durfte.
In Italien haben diesen Vorgang im Madonnenleben die Meister des
XV. und XVI. Jahrhunderts Fra Angelico, Carlo Crivelli, Botticelli und
Lorenzo di Credi so gemalt, die Plastiker, in erster Linie Donatello und die
Werkstätte der Robbia, so gebildet, daß wir uns kaum etwas Schöneres,
etwas Anmutigeres denken können. Die Palme in der Behandlung des Stoffes
gebührt, wenn wir nicht nur die besondere Vorliebe des Meisters für das
Thema an erster Stelle setzen, Fra Angelico. Er bietet uns die Vorstellung
höchster geistiger Verklärung, hat seiner Madonna das jugendlichste, ja ein
mädchenhaftes Aussehen gegeben und sein Gabriel erscheint mit den bunt-
schillernden Flügeln eines Falters. Immer aber behielt die italienische Kunst
von der Schwelle des XIV. Jahrhunderts an eine Darstellungsweise des
Mysteriums bei, welche die symbolischen Formen fallen gelassen und eine
für die späteren Zeiten typische, die ganze Zartheit und Reinheit christlicher
Empfindung widerstrahlende Behandlung des Vorgangs gewählt hat. Diese
beschränkte sich auf die Figuren der Maria und des Erzengels ! sie auf
einer Bank ruhend oder im Raume kniend mit dem Ausdruck des Staunens;
der Engel mit vorgestreckter Rechten die göttliche Botschaft überbringend.
Die Szene spielt in einem bald vornehmer, bald einfacher ausgestattetem
Raume. Beigefügt ist noch eine auf dem Boden, dern Tisch oder im Fenster
stehende Vase mit bunten Blumen oder einer einzelnen Lilie - in Anspielung
auf die von David und den Erzvätern als „Lilie der Täler" begrüßte Jungfrau.
Die italienischen Bilder muten uns an, wie wenn sie Gestalten und
Dinge einer besseren und schöneren Welt vor Augen führten. In Deutsch-