Sammlungen gemäß ist in der Auswahl eine Beschränkung auf die Plastik der öster-
reichischen Kronländer nicht vorgenommen, sondern nicht nur die oberdeutschen Nachbarn,
auch Niederdeutschland, Burgund, Frankreich, Italien und Spanien sind mit einzelnen
Beispielen herangezogen. Die überwiegende Mehrzahl gehört aber den Alpenländern von
der bayrisch-schwäbischen Hochebene bis nach Südtirol und der eigentlichsten Blütezeit
der Holzplastik, der Epoche von 1450 bis 1 5 50 an. Mit ganz hervorragenden Werken ist
insbesondere das frühe XVI. Jahrhundert vertreten, dessen Vorliebe für realistische Dar-
stellung einerseits, nach sinnenfälliger Schönheit andrerseits auf den privaten Sammler noch
mehr als auf öffentliche Sammlungen mit ihren entwicklungsgeschichtlichen Tendenzen
ihre Anziehungskraft nicht verfehlen. Der an sich lockenden Versuchung, eine Reihe von
Einzelwerken aus der rund ein- und einviertelhundert Nummern betragenden Auswahl
im besonderen herauszuheben, muß eben wegen der Fülle des gleich hervorragenden
Materials entsagt werden. Nur ein Moment mag hier noch betont werden, daß gerade diese
Fülle von feinster seelischer Beobachtung getragenen Holzschnitzereien nicht zur Nach-
ahmung, wohl aber zu einer gedeihlichen Befruchtung des modernen Schaffens außer-
ordentlich geeignet erscheint.
Die Tafeln sind in bunter Reihe wiedergegeben, ohne Rücksicht auf ikonographische,
chronologische oder Schulzusammenhänge; auch die Sammlungsprovenienz ist bei der
Zusammenstellung meist nur soweit berücksichtigt, daß in derRegel auf den einzelnenTafeln
nur Werke ein und derselben Sammlung nebeneinander gestellt sind. Vielleicht wäre es für
die genauere Kenntnis der Sammlerpsychologie angebracht gewesen, die einzelnen Samm-
lungen in Zusammenhang zu stellen und innerhalb derselben eine gewisse systematische
Anordnung einzuhalten. Für die folgenden Bände dürfte sich mutatis mutandis eine solche
Einrichtung, die das immerhin zeitraubende Zusammenordnen nach dem Bedürfnis des
Benützers erleichtert, empfehlen.
Der Herausgeber hat sich darauf beschränkt, dem Bande ein Verzeichnis des Inhalts
der Tafeln beizugeben, dem nach Erscheinen der weiteren Bände ein die gesamte Publi-
kation umfassender Textband folgen soll. Nach dem schon in den Tafeln des ersten Bandes
sich kundgebenden feinsinnigen Verständnis des Verfassers dürfen wir sicher ein die
Geschichte der Holzplastik Österreichs in völlig neuem Lichte zeigendes Werk erwarten.
Der kurze, aber allesWesentliche über Material, Größe, Entstehungszeit und Ort enthaltende
Katalog gibt von der Sicherheit, mit der Leisching das vorliegende Gebiet beherrscht, den
besten Begriff und ist an sich schon eine glänzende Leistung. Daß über diese oder jene Zu-
schreibung, zum Beispiel die der berühmten sitzenden heil. Margarete bei Figdor nach den
Niederlanden, Meinungsverschiedenheiten bestehen können, daß die lokale, beziehungs-
weise provinzielle Scheidung sich noch schärfer ergeben wird - Bezeichnungen wie
„deutsch" klingen zu leicht als Verlegenheitsausdrücke -, können an des Herausgebers
Verdiensten nichts nehmen. Vorläufig mag den Kunstfreunden der ästhetische Genuß an
den warmblütigen Erzeugnissen einer die Volksseele, das Volksempi-lnden, wie kaum eine
andere zum Ausdruck bringenden Kunst genügen. Hans Stegmann
DAS NEUE ALLGEMEINE KÜNSTLERLEXIKON "i Das Bedürfnis nach
einem modernen umfassenden Kiinstlerlexikon war ein immer dringenderes Postulat
geworden. Das letzte größere Werk dieser Art, das von Julius Meyer, ist bekanntlich über
den dritten Band nicht hinausgekommen und so war man, wo das kleinere, neuere, sehr
brauchbare Werk von Singer versagte, immer genötigt, auf den alten treuen Nagler zu-
rückzugreifen. Der erste jetzt vorliegende Band des Thieme-Beckerschen Werkes, das auf
zo Bände berechnet ist, erfüllt alle an ein solches Standard-work gestellten Erwartungen.
Gegen 3oo Spezialforscher aller möglichen Nationen arbeiten daran mit und bieten wohl
"K Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Unter Mitwirkung von
300 Fachgelehrten des ln- und Auslandes herausgegeben von Dr. Ulrich Thieme und Dr. Felix Becker. L Band
Aa - Antonio de Miraguel. Leipzig, W. Engelmann, 1907. 8'.