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Nirgends hat sich die künstlerische Gestaltungskraft Grolls ebenso wie
seine Beherrschung großer räumlicher Flächen vorzüglicher bewährt als
hier in Haindorf und namentlich in der malerischen Ausschmückung der
Kuppel. Auch in stilistischer Beziehung ist die Arbeit höchst bemerkenswert.
Nirgends eine Spur von der dogmatischen Befangenheit oder süßlichen
Gefühlsseligkeit, in welche die moderne religiöse Malerei so leicht verfällt;
nirgends auch eine Spur von der spielerischen Leichtfertigkeit, mit welcher
dem historischen Barock oft heidnische und christliche Gedanken- und
Bilderwelt ineinandertließen. Alle
Gestalten sind vom Pathos
menschlichen Lebens und Lei-
dens erfüllt, machtvoll in der
Bewegung, ausdrucksvoll in der
Geste bis in jedes Fingerglied
der wundervoll durchgebildeten
Hände hinein; und nur die ge-
flügelten Engelsgestalten, welche
hier als teilnahrnsvoll bewegte
Zuschauer und stellenweise als
Mithandelnde die Szenen be-
gleiten, erinnern an den trans-
zendenten, übernatürlichen Cha-
rakter der dargestellten Vor-
gänge. Sie sind dem Künstler
überdies unentbehrlich, um die
großen Flächen neben und über
den handelnden Personen zu
füllen, und gestatten auch, eine
Reihe fein abgewogener Farben-
wirkungen in den koloristischen
Aufbau des Ganzen zu bringen.
Abb 15 Der Künstler bei der Arbeit in der Kuppel der Kirche wie in bezug auf Charakteristik
' ' aufdm, Pömingbmg, und Ausdruck hat der Künstler
in den Haindorfer Fresken auch
in bezug auf die Farbenwirkung merkliche Fortschritte gemacht. Man fühlt
die wachsende Vertrautheit mit dem großen Stil der Flächenbehandlung,
die wachsende Vertrautheit mit der spröden Technik des Freskos, welche
fast keine Korrektur des einmal Gemalten gestattet als das Wiederherunter-
schlagen, und die größte Sicherheit in der Berechnung der Wirkungen
verlangt (Abb. 16). Wenn man bedenkt, daß die gesamte Ausmalung der
Kuppel das Werk eines einzigen Sommers war (1906) und daß der Künstler
damals schon den Keim zu der Todeskrankheit in sich trug, welcher er fünf
Vierteljahre später erlag, so staunt man über die Kraft dieser Arbeitsleistung
und über die Sicherheit technischen Könnens, mit welcher dieses Werk,