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Volltext: Monatszeitschrift XI (1908 / Heft 10)

Der große Schatz an guten alten Leistungen hat auch das eklektische 
XIX. Jahrhundert ermutigt, bei öffentlichen Bauwerken dem monumentalen 
Treppenhaus seinen Platz zu geben. Wenn man die Parlamentsgebäude, 
Rathäuser, Universitäten und Theaterbauten jener Zeit nach dem Wert und 
der Bedeutung ihrer Treppenanlagen prüft, so wird man eher ein Zuviel als ein 
Zuwenig an gutem Willen finden. Die Prachttreppe wurde zur gefährlichen 
Klippe, an der manches Werk scheitern konnte, weil sein Architekt mehr 
Interesse an einem Bravourstück seiner Phantasie und historischen Bildung 
als an dem eigentlichen Zweck seines Bauwerks nahm. Es ist für jene Zeit 
charakteristisch, daß viele Monumentalbauten an einem Überfluß an Prunk- 
treppen kranken, die nie ihren eigentlichen Zweck erfüllen konnten, weil nie- 
mals das volle Bedürfnis für sie eintrat, dafür aber nahmen sie wichtigen 
anderen Zwecken Raum und Mittel weg. Als ein Muster maßvoller und edler 
Raumkunst mag die Haupttreppe des Wiener Opernhauses genannt werden, 
als ein Beispiel eines sehr weit getriebenen Treppenluxus die Wiener Uni- 
versität und als ein abschreckendes Beispiel falsch angewendeten Prunkes 
das Treppenhaus des einst gepriesenen Wiener Nordbahnhofes. 
Die modernen Anschauungen verpönen solches Spielen mit Formen 
und Gebilden, die nicht aus dem Bauproblem unmittelbar hervorgehen, 
Schöpfungen, welche nur aus dem Wunsch entstanden, mit Leistungen zu 
wetteifern, die in den früheren Epochen aus einem Bedürfnis herauswuchsen, 
für unsere Zeit aber nicht mehr wertvoll sein können. Hingegen entstanden 
auf dem Gebiet des T reppenbaues durch Anwendung neuer Materialien 
und Konstruktionen, durch Lösung neuer Raumfragen und Befriedigung 
veränderter Verkehrsbedürfnisse Werke von spezifisch modernem Charakter, 
die künstlerisch sehr befriedigen. 
Eisen und Betoneisen gestatten heute Konstruktionen von einer Kühn- 
heit der Konzeption und Ausführung, welche frühere Zeiten nicht kannten, und 
je mehr wir den Mut finden, diese Stärke unserer Zeit zu betonen und zum 
Ausgangspunkt der Entwürfe zu machen, desto sicherer werden wir zu 
selbständigen und befriedigenden Lösungen auch auf einem Gebiete gelangen, 
auf dem die Vergangenheit uns so viel vorweg genommen hat. 
Anderseits bieten der enorm gesteigerte Verkehr in den großen Städten, 
die neue Art von Raumproblemen, wie sie bei Ausstellungsgebäuden, Bahn- 
hofhallen, Brückenbauten etc. entstand, Veranlassung genug, dem Treppen- 
bau spezifisch moderne Formen zu geben, die künstlerisch erfreulich wirken. 
Auf anderen Gebieten wird jedoch ein engerer Anschluß an das Vor- 
handene wertvoll bleiben, das ist überall dort, wo auch der Charakter der 
Aufgaben keine wesentliche Änderung erfahren hat. 
Dies gilt besonders vom Wohnhausbau. Wenn auch hier Bequemlich- 
keitsforderungen, hygienische und technische Fortschritte neue Einflüsse 
repräsentieren, so bleibt doch der überwiegende Teil der Aufgabe ein solcher, 
der eine lokale Färbung, eine nationale Eigenart besitzt und auf langsamer 
historischer Entwicklung fußt.
	        
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