München hat das Glück, seit anderthalb Jahrzehnten gerade unter seinen städtischen
Baubeamten eine Reihe von Männern zu besitzen, die, allem bureaukratischen Zopf fern,
als Baukünstler in hervorragendem Maß tätig sind oder waren und zusammen mit den
Brüdern Seidl der Stadt jenes eigentümliche Gepräge zu bewahren und zu geben wußten,
das sie vor allen übrigen Städten Deutschlands auszeichnet, sie vor Narrheiten großen
Styls beschützt hat, wie sie sich anderswo in unbeschnittener Weise breit machen. Es
seien nur die Namen Hocheder, Fischer, Cvrässel genannt. Sie wissen de profundis nicht
nur, was das Bauen an praktischem Wissen erfordert, vielmehr ist ihnen in hohem Grad
der Sinn für architektonische Bildwirkung eigen; das ist bei jenen, die mitschaffend am
raschen Wachstum einer Großstadt wirken, keine kleine Sache. Glücklicherweise hat ihnen
niemals ein höherer Wille korrigierend den Weg vertreten.
Architektonische Bildwirkung ist es vor allem, was die bauliche Anlage der Münchner
Ausstellung auszeichnet. Nicht bloß imÄußeren,nicht bloß in der künstlerischaußerordentlich
liebevollen Behandlung aller Fragen, die sich auch bei scheinbaren Nebensachen geltend
machen. jeder Treppenabsatz, jede Öffnung in den geschlossenen Glas- oder Betonwänden,
jede Verwendung dekorativen Pfianzenwerks, alles, alles zeugt von klarer Überlegung, von
souveränem Können. Das wirkt außerordentlich wohltuend. Nichts ist langweilig, nichts
akademisch-dozentenhaft. So ist auch das Innere der vielgliedrigen mächtigen Eisenbeton-
hallen.Wünscht man sich auch beimBegehen derAbteilung für Zimmereinrichtungen (etwas
voller klingend: für „RaumkunsW, die sich freilich nicht durchweg ihrem innersten Wesen
nach in den ungezählten Speise-, Wohn-, Schlaf-, Spiel-, Musik-, Bibliotheks-, Kinder,
Damen-, Herrenzimmern offenbart; diese dienen zumeist und in erster Linie den Vor-
führungen verfeinertster Schreinerkunst und dem dazu zu zählenden Interieurschmuck)
manchmal einen wirklichen Ariadnefaden, trotzdem ein solcher in Form einer äußerst viel-
verschlungenen roten Linie auf dem Orientierungsplan sich vorlindet, so entschädigen für
diese, nicht im Sinne einer klaren Übersichtlichkeit liegenden Mängel die zahlreichen
wirksamen Ruhepunkte zwischen den einzelnen Raumkomplexen. Bald ist es ein Hof mit
plätschemdem Brunnen, bald eine von hohen Glaswänden umschlossene gärtnerische
Anlage, bald ein Repräsentationsraum oder andere Erscheinungen, die das Auge in der end-
losen Reihe von Eindrücken einigermaßen zur Ruhe kommen lassen.
"It is a great, a wonderful exhibition indeed" - hörte ich einen alles sehr aufmerksam
musternden, bekannten englischen Künstler sagen _ „and what I like very much is that
there are no more pictures than necessaryl" - ja, es wirkt wohltätig, auch einmal leere
Wände zu sehen oder wenigstens solche, die nicht immer wieder den Eindruck einer
Bilderausstellung hervorrufen. Dafür ist der dekorativen Malerei breiter Spielraum
gegeben. Vielfach läßt sich bei dieser deutlich durchfühlen, daß unter dem einseitigen Ein-
flusse der Staffeleimalerei der Begriff für „Wand" und „Leinwandrahmenß auf dem man
nach Belieben herumkorrigiert, verwechselt worden ist, genau so wie die Werke der deko-
rativen Plastik vielfach mehr an sorgsame Atelierarbeit erinnern als an das notwendig ein-
heitliche Zusammenwirken von Architektur und Bildhauerarbeit. In dieser Beziehung ver-
spricht die junge Bildhauerschule unter Adolf v. Hildebrands Leitung ebenso jene der
gewerblichen Fach- und Fortbildungsschulen vieles. Beide vermeiden das Kopieren eines
zuerst in Ton oder anderem Material hergestellten, nachher in Gips gegossenen und dann
erst definitiv kopierten Originalmodells; sie suchen des Steines direkt Herr zu werden.
Dadurch wird die ängstliche Kleinmeißelei vermieden und gleich ein kräftiger Zug in die
Wirkung der vor- und zurücktretenden, der hohen und der vertieften Stellen der Er-
scheinung gebracht. - F. Erler, bekannt durch seine Fresken im Wiesbadner Kurhaus, hat
eine Reihe von Decken- und Wandmalereien geschaffen, die sich den räumlichen Verhält-
nissen gut einfügen,L. Herterich ein farbig sehr fein wirkendes, großesDeckenbild mit allerlei
geschickten Verkürzungs-Spässen; W. Diez malte zwei lange Hallengänge, etwas sehr derb,
im Sinne von ähnlichen Werken des XVIII. Jahrhunderts aus; andere tüchtige Kräfte suchten
da und dort großer Dimensionen Herr zu werden, und schufen manch köstlichen Farbfieck;