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Volltext: Monatszeitschrift XI (1908 / Heft 12)

mein Vorsatz doch fest, ihn von nun an nie mehr zu verlassen und mit aller 
mir zu Gebot stehenden Kraft zu streben, das Versäumte nachzuholen." 
Die starke Betonung, die Waldmüller auf die Worte: „aber malen Sie 
mir sie genau so, wie sie ist" legte, beweist, wie durchaus ungewöhnlich das 
Begehren nach völliger Naturtreue zu jener Zeit selbst Künstler anmutete, 
und aus den zitierten Schlußsätzen geht klar hervor, welch ungeheure Be- 
deutung für seine weitere künstlerische Entwicklung Waldmüller ihnen 
beimaß. Tatsächlich datiert von jener Zeit an, da er das Porträt der Frau 
Stierle-Holzmeister malte, der Beginn von Waldmüllers großartiger Bildnis- 
malerei, die uns den Menschen zeigt, wie er ist, und nicht irgendeine Vor- 
stellung des Malers von ihm. Am Anfang der langen Reihe von Bildnissen, 
die Waldmüller während seines arbeitsreichen und langen Lebens malte, 
steht bereits eine künstlerisch vollwertige Leistung, dieses Altfrauenporträt. 
Während des gewissenhaften Wirkens daran gewann sich Waldmüller 
seinen bewunderungswiirdigen Porträtstil, den Stil einer schier I-Iolbeinschen 
Naturtreue. Er war kein Seelendeuter; ihm war es nicht darum zu tun, die 
Seelen der Menschen, deren Bildnisse er so meisterlich malte, auszulegen. 
Er erfaßte nur das Panische ihrer Erscheinung und da ihm die Erscheinung 
der Menschen Wesentliches vermittelte, mühte er sich nur um deren getreue 
Wiedergabe. Das Phänomen der Unergründlichkeit der Oberfläche hatte er 
erkannt und sich darum bescheiden und klüglich daran gehalten, die zarten 
und oft kaum merklichen Stigmatisationen der Seele scharfsichtig aufzuspüren 
in der körperlichen Form und sie aufzuzeichnen. 
Der Umstand, daß Waldmüller von seinem Porträt der Frau Stierle- 
I-Iolzmeister noch 30 Jahre, nachdem er es gemalt hatte, als jenem sprach, 
das mit größter Treue die Natur wiedergibt und dessen Vollendung ihm eine 
Wende in Kunst und Leben bedeutete, hat begreiflicherweise schon immer 
das regste Interesse für dieses Bildnis geweckt und wachgehalten. Alle Kunst- 
Schriftsteller, die sich nach Waldmüllers Tode mit seinem Werk und seinem 
Leben beschäftigten, haben auf des Künstlers eingangs dieser Zeilen zitierte 
Anekdote Bezug genommen, wenn sie seine Wandlung zum Naturalisten 
verdeutlichen wollten, und dem Bilde, das hierfür ausschlaggebend war, 
emsig nachgeforscht. Doch war all ihre Mühe vergebens, es blieb verschollen. 
Als man vor nunmehr dreijahren inWiendamit beschäftigtwar, eine Kollektion 
der bedeutendsten Arbeiten des Meisters für die in der königlichen National- 
galerie zu Berlin arrangierte Jahrhundertausstellung zusammenzutragen, 
begann auch ich, die unterm Schutt der Zeit verborgenen Spuren des 
Stierle-Holzrneister-Bildnisses zu verfolgen; aber, wie es schien, leider auch 
vergeblich. Ich vermochte zu keinem Ergebnis zu gelangen und mußte zu 
meinem Bedauern darauf verzichten, im Illustrationsband meiner zwei- 
bändigen Waldmüller-Publikation, in dem sich unter 303 darin enthaltenen 
Reproduktionen doch allerlei Waldmüller-Rarissima befinden, die Wieder- 
gabe des StierleJ-Iolzmeister-Bildnisses aufgenommen zu sehen. Schon 
hatte ich alle Hoffnung bezüglich der Auffindung des Bildes aufgegeben, und
	        
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